EnergiePolitikUkraineUmweltWirtschaft

Gas- und Stromversorgung weiter stabil

Die Zwischenfälle an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 geben weiter Rätsel auf, doch sie zeigen erneut: Die Gasversorgung Deutschlands läuft weiter. Wir zeigen im Überblick, welche Aussagen über den bundesdeutschen Energiehaushalt schon jetzt getroffen werden können.

Aus Russland gelangt fast kein Erdgas mehr nach Deutschland, doch die Versorgung bleibt weiterhin stabil. Doch wie sieht es zu Beginn der diesjährigen Heizperiode aus?

Bereits am 31. August war Schluss: Durch die Gaspipeline Nord Stream 1 vom russischen Vyborg bei Sankt Petersburg nach Lubmin bei Greifswald floss kein Erdgas aus Russland mehr. Bereits zuvor war es angesichts der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Moskau zu Unregelmäßigkeiten beim Gasexport aus Russland nach Deutschland gekommen, und die parallel verlaufende Gaspipeline Nord Stream 2 wurde angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht mehr in Betrieb genommen. Am 26. September dann der nächste Zwischenfall: Nach vier Explosionen sind drei der insgesamt vier Rohre auf dem Grund der Ostsee vermutlich für immer unbrauchbar.

Im ganzen Monat September erreichte kaum noch Gas aus Russland Verbraucher und Unternehmen in Deutschland. Im oberpfälzischen Waidhaus an der Grenze zur Tschechischen Republik kommen derzeit nur geringste Gasmengen durch die Megal-Pipeline in der Bundesrepublik an. Kurz: Seit rund vier Wochen wird kaum noch Gas aus Russland eingeführt, doch der Gasbedarf von Verbrauchern und Unternehmern wird weiterhin gedeckt. Außerdem blieb über Monate genug Gas übrig, um die Speicher weiterhin zu befüllen.

Allerdings beginnt in diesen Tagen die Heizsaison. Drohen nun Engpässe bei der Energieversorgung? Stehen uns in den kommenden Wochen Blackouts und traurige Weihnachtsmärkte im Halbdunkel bevor? Und wird es überhaupt genügend Energie zum Heizen geben? Seit die Abhängigkeit von russischem Gas und scheinbar drohende Lieferausfälle immer deutlicher zu Tage treten, dreht sich die Debatte neben den explosionsartig steigenden Kosten auch ums Energiesparen. Doch was haben die Appelle zum sparsamen Umgang mit Energie oder um Laufzeitverlängerungen deutscher Atomkraftwerke mit den Sorgen wegen einer möglichen Gasknappheit zu tun?

Die Rolle von Erdgas bei der Stromproduktion

Die aktuellen Appelle zum Energiesparen sollen auch helfen, den Stromverbrauch zu senken. Allerdings werden nur noch knapp 12 Prozent des eingespeisten Stroms aus Erdgas gewonnen.

Sehenswürdigkeiten bleiben im Dunkeln, Behörden und öffentliche Einrichtungen verzichten auf Durchlauferhitzer, und Kommunen erwägen eine reduzierte Advents- und Weihnachtsbeleuchtung. Doch wie hängt das Stromsparen mit der angespannten Lage am Gasmarkt zusammen? Hier lohnt es sich, zunächst die Stromerzeugung genauer unter die Lupe zu nehmen.

Bild: Statistisches Bundesamt

Für eine erste aussagekräftige Bilanz lohnt ein Blick zurück: Der im 1. Halbjahr 2022 in Deutschland erzeugte und ins Stromnetz eingespeiste Strom stammte zu knapp einem Drittel (31,4 %) aus Kohlekraftwerken. Laut Statistischem Bundesamt wuchs die Einspeisung von Kohlestrom nach vorläufigen Ergebnissen im Vergleich zum 1. Halbjahr 2021 um 17,2 Prozent. Damit nahm die Bedeutung von Strom aus Braun- und Steinkohle  für die Energieversorgung weiter zu. Gleichzeitig ging die aus konventionellen Energieträgern erzeugte Strommenge gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 7,1 Prozent auf einen Anteil von 51,5 Prozent des eingespeisten Stroms zurück. Im 1. Halbjahr 2021 hatte dieser Anteil noch bei 56,2 Prozent gelegen. Unterdessen stieg die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen um 12,1 Prozent auf einen Anteil von 48,5 Prozent (1. Halbjahr 2021: 43,8Prozent).

Zurück zum Strom aus konventionellen Energieträgern: Hier kommt nun das Erdgas ins Spiel, das ebenfalls zur Stromerzeugung genutzt wird. Während Braun- und Steinkohle wie im Vorjahreszeitraum die wichtigsten Energieträger in der Stromerzeugung waren, nahm die Bedeutung von Erdgas weiter ab. Die Stromproduktion aus Erdgas ging im 1. Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 17,9 Prozent auf einen Anteil von nur noch 11,7 Prozent der eingespeisten Strommenge zurück (1. Halbjahr 2021: 14,4 Prozent).

Kein russisches Gas, kein Strom? Ein derzeit unwahrscheinliches Szenario

Zur Stromproduktion werden verschiedene Energiequellen genutzt. Dabei spielt Erdgas keine Hauptrolle. Allerdings verschafft das Stromsparen ein Einsparpotenzial, welches helfen kann, die rasant steigenden Gas- und Heizkosten zu bestreiten.

Seit rund einem Monat fließt kaum oder gar kein Gas aus Russland mehr nach Deutschland, doch die Stromproduktion bleibt bislang stabil. Dies bedeutet: Es drohen aus derzeitiger Sicht keine großflächigen Blackouts oder lange Versorgungsengpässe mit Strom. Mit seinen 11,7 Prozent an der gesamten Stromproduktion spielt das Gas aus verschiedenen Herkunftsländern keine Hauptrolle. Von diesen 11,7 Prozent ist das russische Gas aufgrund des Lieferstopps und der nun sabotierten Nord Stream-Pipeline komplett ausgenommen. Andere Lieferanten decken den Gasbedarf, die Stromerzeugung läuft bislang weiter.

Die Gasknappheit treibt den Gaspreis unterdessen zu immer neuen Rekorden. Die leichte Preisentspannung in den vergangenen Tagen ist bislang kaum spürbar. Allerdings treibt insbesondere der immens teure Gasanteil an der Stromproduktion gleichzeitig auch den Strompreis nach oben. Dies geschieht jedoch nur in dem Verhältnis, in dem Gas zur Stromherstellung genutzt wird. Ein Beispiel: Der Gaspreis vervier- oder verfünffacht sich. Werden zur Stromerzeugung 10 Prozent Erdgas genutzt, erhöht sich der Strompreis entsprechend um 40 oder 50 Prozent. Das Stromsparen kann also nur bedingt den Gasverbrauch senken, doch es bietet finanzielles Einsparpotenzial. Dieses könnte im Gegenzug helfen, die immensen Kosten für Gas und Heizung zu bestreiten.

Und die Kernenergie?

Die Stromerzeugung aus Atomkraft hat sich im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um die Hälfte verringert. Bis Ende Juni 2022 flossen 50,8 Prozent weniger Atomstrom ins bundesdeutsche Netz als bis Ende Juni 2021. Damit besitzt die Kernenergie einen Gesamtanteil von jetzt genau 6 Prozent an der gesamtdeutschen Stromproduktion (erstes Halbjahr 2021: 12,4 Prozent). Der Grund für diesen deutlichen Rückgang ist die Abschaltung von drei der sechs noch im Betrieb befindlichen Kernkraftwerke Ende 2021 im Rahmen des Ausstiegs aus der Atomenergie.

48,5 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien im 1. Halbjahr 2022

Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stieg im 1. Halbjahr 2022 gegenüber dem 1. Halbjahr 2021 deutlich um 12,1 Prozent. Dabei wuchs die Einspeisung aus Windkraft um 18,1 Prozent auf einen Anteil von 25,7 Prozent an der eingespeisten Gesamt-Strommenge (1. Halbjahr 2021: 22,1 Prozent). Die Einspeisung aus Photovoltaik stieg um 20,1 Prozent auf einen Anteil von 11,2 Prozent des zur Verfügung stehenden Stroms  (1. Halbjahr 2021: 9,4 Prozent). Der hohe Anstieg bei der Windkraft in diesem Jahr ist vor allem auf das windarme 1. Quartal 2021 zurückzuführen. Das starke Wachstum der Photovoltaik lag hauptsächlich an der ungewöhnlich hohen Zahl an

Bei der Stromerzeugung gewinnen die erneuerbaren Energien bereits am Boden, doch beim gesamten Energieverbrauch (also die Summe aus Stromnutzung, Treibstoffen für Verkehr, dem Energiebedarf für die Industrie oder Heizenergie) besaßen sie im gesamten Jahr 2021 laut Bundesumweltamt einen Anteil von 19,7 Prozent; 80,3 Prozent kamen im vergangenen Jahr aus konventionellen Energiequellen. 2015 waren nur rund 15 Prozent der Bruttoendenergienutzung auf erneuerbare Energien zurückzuführen.

Woher kommt das Gas für Deutschland?

Anfang 2022 stammte mehr als die Hälfte des in Deutschland berbrauchten Erdgases aus Russland. Dieser Anteil ist auf nun nahe Null gesunken. Welche anderen herkunftsländer gibt es, und können diese nun „einspringen“?

Quelle: Entsog, FNB, BDEW

Nicht überall, wo Energie benötigt wird, kann Strom Abhilfe schaffen: beim Heizen, in der Industrie, im Verkehr. Somit spielt Erdgas im bundesdeutschen „Energie-Cocktail“ weiterhin eine wichtige Rolle. Vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine bezogen fast alle EU-Staaten russisches Erdgas, zum Teil durch Pipelines über ukrainisches Territorium. Im deutschen Gesamt-Energiemix spielt Erdgas mit einem Anteil von 21,6 Prozent eine wichtige Rolle. Hiervon kamen 38,2 Prozent aus Russland, 34,8 Prozent aus Norwegen, 22,4 Prozent aus den Niederlanden und 4,6 Prozent aus sonstigen Quellen.

Zu Jahresbeginn stammten noch über 50 Prozent des in Deutschland importierten Gases aus Russland. Dieser Anteil sank nach dem Beginn des Ukraine-Krieges deutlich. Im Juli verkündete der „Dritte Fortschrittsbericht Energiesicherheit“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, Ende Juni seien noch 26 Prozent des importierten Gases russischer Herkunft gewesen. Durch vermeintliche Wartungsarbeiten im Sommer und neuerliche Gasdrosselungen war der Anteil sogar auf unter zehn Prozent gefallen. Die fehlenden Liefermengen aus Russland wurden zuletzt durch höhere Einfuhren aus Norwegen und den Niederlanden ausgeglichen.

Mittlerweile ist Norwegen der bedeutendste Gasexporteur für den bundesdeutschen Markt. Im August kletterte der Anteil von Importen aus dem skandinavischen Land auf 38,3 Prozent. Dies geht aus den Zahlen des Verbands der Europäischen Fernleitungsnetzbetreiber für Gas ENTSOG und der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber FNB hervor.

Die Liefermengen aus Norwegen haben indessen ihr Limit erreicht. Bereits im Sommer hatte die norwegische Regierung unterstrichen, dass das Land mit seiner Gasförderung am Limit angelangt sei. Die Niederlande liefern derzeit rund 24 Prozent der Gesamtgasmenge, doch damit ist bald Schluss: Ein Gasförderfeld bei Groningen soll nur noch bis 2023 genutzt werden, da die Gasförderung für zahlreiche kleinere Erdbeben und damit für zunehmende statische Probleme an  Gebäuden verantwortlich ist.

Gibt es kein Gas aus Deutschland?

Aus Deutschland selbst kommt kaum noch Gas. Die heimische Gasproduktion wurde wegen zu Ende gehender Vorräte und immer aufwändigerer Genehmigungsverfahren deutlich heruntergefahren. 2001 wurden für den hiesigen Gasverbauch noch 21 Prozent in Deutschland gefördert; dieser Anteil ist mittlerweile auf noch gut fünf Prozent zurückgegangen.

LNG als möglicher Ersatz

Oft wird Flüssigerdgas (oft als „LNG“ abgekürzt, für Liquefied Natural Gas), das unter hohen Druck tiefgekühlt per Schiff transportiert wird, als Alternative genannt. Bisher importiert Deutschland vor allem Flüssigerdgas aus den USA.

Die LNG-Lieferungen sollen künftig diversifiziert werden. So gibt es Gespräche mit Katar, Australien, Algerien und Nigeria. Auch aus Kanada könnte Deutschland perspektivisch LNG beziehen. Hier ist aber keine schnelle Lösung zu erwarten, da es bislang keine LNG-Exportterminals an der kanadischen Ostküste gibt. Kurzfristig ließe sich aber mit Hilfe der anderen Lieferländer etwa ein Drittel der russischen Gasmenge durch LNG ersetzen, schätzten Experten. Das Flüssiggas soll über die Häfen in Niederlande und Belgien ankommen und dann ins Erdgasnetz eingespeist werden, um über das europäische Leitungsnetz dann nach Deutschland zu gelangen.

Noch existieren hierzulande keine LNG-Terminals, doch bereits in diesem Winter sollen zwei schwimmende LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel einsatzbereit sein. Weitere Anladestellen sollen folgen.

Banger Blick auf die Gasspeicher

95 Prozent: So voll müssen laut Gesetz die bundesdeutschen Gasspeicher zum 01. November sein. Dieses Ziel kann noch erreicht werden, doch im kommenden Jahr hängt alles von der Fertigstellung von Flüssiggasterminals ab.

Aus Sorge um die Energieversorgung im Winter 2022/2023 wurde im März dieses Jahres ein neues Gasspeichergesetz verabschiedet: Zum 01. November muss der Füllstand 90 Prozent betragen; diese Marke wurde in der Zwischenzeit per Ministerverordnung auf nun 95 Prozent nach oben korrigiert. Aktuell (04. Oktober) beträgt der Füllstand durchschnittlich 92,1 Prozent. Die vergleichsweise kalte Witterung hat das Fülltempo durch die beginnende Heizzeit jedoch deutlich gedrosselt. Die Marke von 95 Prozent scheint noch im Bereich des Möglichen, doch bei weiterhin kalter Witterung ist dieses Ziel in Gefahr.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist laut Nachrichtenagentur DPA vorsichtig optimistisch: Wenn ausreichender Gaseingesparung und gutem Wetter gebe es die Chance, gut durch den Winter zu kommen. Das bedeutet aber zugleich, dass es eng werden könnte, wenn es im Winter außergewöhnlich kalt wird.

Das angestrebte Speicherziel von 95 Prozent im November entspricht ca. 245 Terawattstunden – ungefähr jener Menge, die laut Bundesnetzagentur im Januar und Februar der Vorjahre verbraucht wurden. Der Winter dauert natürlich länger als zwei Monate, deshalb wird Deutschland auch weiterhin auf Gaslieferungen aus den Nachbarländern und über die LNG-Terminals angewiesen sein.

Allerdings wurden die Gasspeicher in der ersten Jahreshälfte noch mit russischem Erdgas befüllt, das mittlerweile nicht mehr zum deutschen „Gasmix“ gehört. Die Befüllung im kommenden Jahr dürfte sich somit komplizierter gestalten, da insgesamt weniger Erdgas zur Verfügung steht, mit dem sowohl der laufende Konsum gedeckt als auch die Speicher gefüllt werden müssen. Hinzu kommt der mittelfristige Rückgang der Einfuhren aus den Niederlanden. Somit dürfte die eigentliche Herausforderung erst 2023 bevorstehen. Allerdings könnten dann bereits die ersten Einfuhren über die neuen LNG-Terminals erfolgen. ph