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SPD-Bürgermeister-Kandidatin Claudia Eller-Funke im Gespräch mit Matthias Platzeck


Teltow im Spiegel der Wendezeit. Das war Thema am Abend des 28. Mai, welches die Bürgermeister-Kandidatin mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs in lockerem Plauderton erörterte. Wie war das damals? Was hat sich seitdem verändert? Welche Werte und Strukturen sind geblieben?

Einführend beschreibt Platzeck die Stimmungslage zum Zeitpunkt des Mauerfalls bis heute. „Seinerzeit dachten wir, die deutsche Einheit wird in spätestens fünf Jahren vollendet sein. Aber Johannes Rau warnte schon damals, dass dies mindestens eine Generation dauern wird.“ Er erinnerte an die Charta von Paris und wieviel Hoffnung damit verbunden war. Diese wurde am 21. November 1990 in Paris unterzeichnet und war das Schlussdokument einer KSZE-Sondergipfelkonferenz. Sie dokumentierte das Ende der Teilung Europas und der Ost-West-Konfrontation. Die Teilnehmerstaaten verpflichteten sich zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden. 

Diese Aufbruchstimmung sei bei vielen der Ostdeutschen mittlerweile verschwunden und einer diffusen, sphärischen Angst gewichen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs versucht er sich an Erklärungen: „In den Neunzigern hat man versäumt, der unterlegenden Gesellschaft Haltegriffe mitzugeben. Man hat alle Errungenschaften der DDR, wie Ganztagsschulen, Polikliniken oder Kindergärten für überflüssig erklärt. Heute haben wir das alles wieder, aber dieses Gefühl der Unterlegenheit ist bis heute geblieben und vererbt sich auch auf die nächste Generation.“ Er führt auch eine Studie an, die besagt, dass „Wessis“ im Osten eher einer gehobenen Gesellschaftsschicht angehörten, bei „Ossis“ im Westen sei das umgekehrt.

Eller-Funke hingegen hat die Wendezeit als Ost-Westfalin erlebt, ist aber schon gleich nach Beginn der deutsch-deutschen Einheit nach Thüringen zum Studium gegangen und seit 1999 in Teltow zu Hause. Sie erinnert sich, wie schockiert sie war, als sie erfuhr, dass Schüler teilweise ihre Mitschüler ausspionierten, musste aber auch mitansehen, wie viele Menschen in den neuen Bundesländern von Arbeitslosigkeit betroffen waren und sich jahrelang von einer ABM-Maßnahme zur nächsten schleppten.

Matthias Platzeck pflichtet ihr bei. Keineswegs habe jeder die Vereinigung beider deutschen Staaten begrüßt. Vor allem in den Dörfern hatten die Menschen alles, was sie brauchten, denn die LPGs waren im Vergleich relativ eigenständig. Auch er habe der Wiedervereinigung nicht unbedingt positiv gegenübergestanden, vielmehr sei sein Ziel eine offenere, freiere und buntere DDR gewesen. Für ihn sei es auch immer eine bewusste Entscheidung gewesen, das Land nicht verlassen.

Teltow ist eher Wendegewinner

Kaum vorstellbar, aber der ehemalige Industriestandort hatte nach 1990 mit einem Schlag 9.000 Arbeitslose. Das war fast die Hälfte der Bevölkerung. Mittlerweile, so Eller-Funke, hat Teltow mehr Ein- als Auspendler. Man könne stolz sein, wie sich Teltow in den letzten 35 Jahren entwickelt habe. Was fehlt, seien Wohnungen, die frei finanzierten auch zu teuer. Allerdings, meldet sich Noch-Bürgermeister Thomas Schmidt aus dem Publikum, seien sie in Teltow auch insofern privilegiert, als keine Wohnungen an Investoren verkauft wurden, sondern alles in Genossenschaftshand blieb. Man habe vieles bewahren können und alles erhalten, was ging.

Wie umgehen mit der AFD?

Da waren die beiden Diskutanten nicht ganz einer Meinung. Während Claudia Eller-Funke ganz klar eine Zusammenarbeit ablehnt, sieht dies Matthias Platzeck vor dem Hintergrund seines zweiten Wohnsitzes in der Uckermark etwas moderater. Man könne nicht ignorieren, dass dort die Hälfte der Menschen nicht mehr von den etablierten Parteien erreicht worden seien, eher müsse man sich fragen: Was haben wir falsch gemacht? Er führt eine Reihe von Gründen an: Grundsätzlich habe man durch allzu neoliberale Entwicklungen zu viele Menschen am Rand gelassen. Konkret sei die Entscheidung „Rückgabe vor Entschädigung“ sicher falsch gewesen, auch die bedingungslose Aufrüstungseuphorie werde mit Skepsis betrachtet. Weiterhin habe sich die politische Sprache vom Idiom der normalen Menschen entfernt. Auch eine zunehmende Bürokratie verunsichere. Ein verbindliches Gesellschafts- und Zukunftsbild fehle. Da läge es nahe, nach einer starken Hand zu rufen. Trotzdem gäbe es keinen Grund, aus Frust und Trotz die ostdeutsche Identität zu leugnen, im Gegenteil könne man stolz darauf sein, was in den letzten 35 Jahren geschaffen wurde; stolz auch auf diese Region, die sehr viel Zukunftspotenzial hat.

Fotos: Elisabeth Kaufmann