Über den Umgang mit Menschen am Rande der Gesellschaft
Vor dem Supermarkt, neben dem Mülleimer rechts vom Eingang, hatte Norbert seinen Stammplatz. Zwei Jahre lang durfte er dort seine Tasche mit den wenigen Habseligkeiten abstellen und Pause machen, einen Pappbecher auf den Boden stellen. Viele Kunden haben ihn ganz selbstverständlich mitversorgt: Lebensmittel und Getränke, Kleingeld, das sie unaufgefordert in seinen Pappbecher legten, oder einfach ein freundlicher Wortwechsel.
Wenn Norbert friedlich auf dem Wägelchen saß, wusste man nie, ob er schläft oder über Kopfhörer seinem Gerät lauscht. Wenn jedoch eine Münze in seinen Becher fiel, hob er stets den Kopf und murmelte ein leises „Danke“.
Menschen wie Norbert tauchen in keiner Statistik auf. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V. schätzt, dass bundesweit etwa 41.000 Menschen ohne jedwede Unterkunft auf der Straße leben, vor allem in den Ballungsräumen. Obdachlose aus der TKS-Region müssen meist auf die Anlaufstellen in Berlin und Potsdam ausweichen. Eine Anfrage an die Stadt Teltow zu hiesigen Notunterkünften blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Auch die Stadtverordneten haben sich nach Informationen aus dem digitalen Sitzungsarchiv vor sechs Jahren das letzte Mal mit der Situation der Obdachlosen befasst.
Seit kurzer Zeit ist der Platz vor dem Supermarkt leer. Kunden beschwerten sich über Norberts Anwesenheit, er habe gestört. „Steht vor dem Markt jemand, der nicht zum eigenen Leben passt, ist man gezwungen, sich gedanklich mit dem Thema auseinanderzusetzen“, sagt Martin Bindemann, Diakon der evangelischen Kirchengemeinde St. Andreas. „Armut kann durch einen einzigen miesen Moment entstehen: Jobverlust, persönliches Scheitern, plötzliche Krankheit. Die Einsicht, dass es jedem von uns jederzeit passieren kann, ist das, was Angst macht.“
Die Marktleitung hat sich schließlich dem Druck der Kundschaft gebeugt, sie bat Norbert, zu gehen. Und er ging. So lautlos und unaufdringlich wie er lange Zeit dort gesessen hatte, auf dem kleinen Sitzplatz vor dem Supermarkt, neben dem Mülleimer rechts vom Eingang. Als hätte es ihn nie gegeben.
Text: M. Emmendörfer & M. Pilz/ Foto: M.Pilz