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Was Theodor Fontane zur Weihnachtszeit in unserer Region vorgesetzt bekam

Wir schreiben das Jahr 1890. Zwei Jahre zuvor hatte der Schriftsteller Theodor Fontane zu Pfingsten seine erste Wanderung in den Teltow (eine eiszeitliche Hochfläche südwestlich von Berlin) unternommen und davon ausführlich in dem mehrbändigen Werk „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ berichtet. Damals hatte er unter anderem vergeblich nach den Überresten der mittelalterlichen Nutheburgen gesucht, diesmal hat er sich von Wannsee aus auf den Weg gemacht, um die Dörfer in der Nähe des Bäketals zu besuchen – immer auf der Suche nach Geschichten und Erzählungen, die er als Grundlage für neue Romane verwenden könnte. Ganz nebenbei wird der Ausflug auch zu einer kulinarischen Entdeckungsreise mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen.

„Die Märker haben viele Tugenden, wenn auch nicht so viele, wie sie sich einbilden, was durchaus gesagt werden muss, da jeder Märker ziemlich ernsthaft glaubt, dass Gott in ihm und seinesgleichen etwas ganz Besonderes geschaffen habe. So schlimm ist es nun nicht. Die Märker sind gesunden Geistes und unbestechlichen Gefühls, nüchtern, charaktervoll und anstellig, anstellig auch in Kunst, Wissenschaft und Religion, aber sie sind ohne rechte Begeisterungsfähigkeit und vor allem ohne rechte Liebenswürdigkeit. Im Übrigen sind sie neidisch, schabernackisch und engherzig.“ So beschreibt Fontane seine Gastgeber, zu denen er sich trotz aller Kritik offenbar immer wieder hingezogen fühlt. Ob das am gastronomischen Angebot in der Region liegt, ist möglich, denn Theodor Fontane war diesbezüglich sehr anspruchsvoll. Kein Wunder, denn er stammte aus einer hugenottischen Familie, in der die französische Kochkunst von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Er selbst beschrieb besonders seine Großmutter als hervorragende Köchin, aber auch seine Tante mütterlicherseits, Charlotte Fréderique Chrétienne (die ebenfalls mit einem Mitglied der Fontane-Familie verheiratet war), sammelte eifrig Rezepte und veröffentlichte sie im Kochbuch „Wie man in Berlin zur Zeit der Königin Luise kochte“. Besonders in „besseren Kreisen“ griff man damals gern auf solche Kochbücher zurück, daher können wir gut nachvollziehen, was zur Zeit Fontanes auf den Tisch kam. So vermittelt uns „Das Brandenburgische Kochbuch, oder: Die wohl-unterwiesene Köchinn“ (seit dem 17. Jahrhundert in unzähligen Auflagen erschienen) so manche Rezeptur, die heutzutage wohl nicht nur bei Hobbyköchen, sondern auch bei Naturschützern auf Ablehnung stoßen würde.

Kochbuch von Charlotte Fréderique Fontane Ausgabe 1903 / Foto: Privat
Brandenburgisches Kochbuch Ausgabe 1731 / Foto: privat

In früheren Zeiten, als es noch keine Kühlschränke gab, machte man die Speisen durch verschiedene Konservierungsmethoden haltbar, zum Beispiel durch Einkochen, Einlegen in Salz oder Essig, durch Räuchern oder Pökeln. Trotzdem war es unvermeidbar, dass Fleisch und Fisch mit der Zeit geschmacklich litten, was man durch die reichliche Zugabe von Gewürzen ausglich. Damals kaufte man Gewürze, Kräuter und Kochhilfsmittel in der Apotheke, und da Fontanes Vater eine Apotheke besaß, kam er seit frühester Kindheit damit in Kontakt. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass Apotheken damals wie ein orientalischer Gewürzbasar rochen, denn die Ware wurde lose in Schubläden gelagert und bei Bedarf abgewogen. Manche waren extrem teuer – wie heutzutage noch der Safran – und wurden eher von wohlhabenden Kunden gekauft. Übrigens: Theodor Fontane selbst absolvierte zunächst eine vollständige Apothekerausbildung, bevor er sich ausschließlich der Literatur und dem Journalismus widmete.

Nuthetal / Foto: Pixabay.com

Der Fontaneweg F5 verläuft auf der von Fontane beschriebenen Strecke von „Klein Machnow auf dem Sande“ zu dem „Gütergotz“ (Güterfelde) und weiter über Ruhlsdorf, Großbeeren und weitere Orte bis nach Philippstal und zeigt uns die kulinarischen Stationen, auf denen Fontane Rast gemacht haben könnte. Kleinmachnow bestand damals aus wenigen Häusern rund um den Gutshof der Familie von Hake, und es lag im teils sumpfigen Bäketal, das erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Teltowkanal ausgebaut wurde. Sowohl im Bereich der Bäke als auch im Nuthetal gab es damals viele Gebiete, die noch recht naturbelassen waren. In den Urwäldern entlang der Gewässer lebten Wildtiere wie Hasen, Rehe, Wildschweine und Biber. Letztere wurden nicht nur wegen ihres begehrten Fells gejagt, sondern dienten auch als willkommene Speise in der Advents- und Weihnachtszeit. Ursprünglich wurden Biber zu den Fischen gerechnet und durften daher auch in der Fastenzeit vor Weihnachten gegessen werden.  Gut möglich also, dass Fontane ein Bibergericht als besondere Spezialität vorgesetzt wurde. Hier das Originalrezept aus dem „Brandenburgischen Kochbuch“: „Nimm den Biberschwanz, leg ihn auf den Rost und lass ihn wohl erwärmen, so gehet ihm die schwarze Haut ab, danach siede den Schwanz im Wasser, ungefähr zwei Stunden, dann kühle ihn aus, schneide ihn zu Stücken, lege ihn in ein Gefäß, gieß ein Maß Wein daran, tue ein wenig geriebenen Pfefferkuchen, geschnittene Mandelkerne, große oder kleine Rosinen darein, salz es recht und mach es mit reichlich Zucker oder Honig süß. Würze es mit Ingwer, Pfeffer, Zimt, Safran und ein wenig Nelken. Wenn es mit der Würze eine Weile gesotten hat, so richte es mit der heißen Brühe an. Also kann man auch die Klauen zubereiten.“ Als Beilage werden karamellisierte Teltower Rübchen empfohlen. Wohl bekomm´s!

Theodor Fontane isst eine Suppe / KI generiert

Der im Rezept verwendete Wein könnte übrigens durchaus vom Kleinmachnower Weinberg gestammt haben. Zu Lebzeiten Theodor Fontanes war klimatisch noch die Kleine Eiszeit zu spüren, so dass es etwas kälter als heute war. Der seit der mittelalterlichen Warmzeit florierende Weinanbau in unserer Region war schon lange nicht mehr ertragreich, und der Wein war so sauer, dass man Kindern androhte, diesen zur Strafe trinken zu müssen, wenn sie sich weigerten, zur Schule zu gehen. Kein Wunder, dass man dem „Brandenburgischen Kochbuch“ das Kapitel „Sauren und anbrüchigen Wein süß zu machen“ hinzufügte – und auch das Biberschwanz-Rezept führt neben Wein die Zugabe von Zucker oder Honig auf. Ein anderes Gericht, das früher in unserer Region gern serviert wurde, basierte ebenfalls auf Wein. So werden im Kapitel „Von allerlei Suppen“ insgesamt acht Zubereitungsarten von Weinsuppen erwähnt, hier die Gebräuchlichste: „Nimm zwei Eidotter, tue Safran und Muskatblüte daran, klopfe es wohl in einem Messingpfännchen, gieß den Wein dazu, tue Zucker daran, lass es aufsieden und gieß es über Stücke von in Butter wohl gebratenem Weißbrot.“ Mit diesem Gericht, dessen Zubereitung etwas an Zabaione erinnert, könnte man sich heutzutage vielleicht eher anfreunden als mit weihnachtlich gewürztem Biberschwanz. In Kleinmachnow hat man jedenfalls ganz sicher Weinsuppe serviert – in Stahnsdorf oder Ruhlsdorf hingegen alles vom Schwein, oder wie man jetzt sagt „From nose to tail“. Vor Weihnachten schlachteten die Bauern in unserer Region traditionell Schweine. Da gab es Schlachtesuppe von Wurstbrühe, Sülze, Schmalz und Pökelfleisch, aber auch reichlich Wurst, denn darin konnten alle essbaren Schlachtabfälle verarbeitet werden. Fontane hat vielleicht Bratwurst nach folgendem Rezept serviert bekommen: „Dazu muss man nehmen Schweinefleisch, fett und mager, auch was von den Flomen, das muss klein gehackt werden, dann muss man dazutun Muskatblüte, Nelken, Pfeffer und Salz, und solches in Schafdärme machen. Hernach kann man sie in Wein legen, so währen sie lange, man brät sie auf dem Rost und gibt Senf darüber, auch wohl Weinessig und Butter.“ Auf Letzteres würde man jetzt wohl verzichten, Bratwurst hingegen ist immer noch sehr beliebt, heutzutage sogar in vegetarischer oder gar veganer Form – Ernährungsweisen, denen unsere Bauern damals wenig abgewinnen konnten.

Wenngleich Fontane die Brandenburger als „engherzig“ (also wohl weniger großzügig) schilderte, wird er in unserer Gegend kaum gehungert haben. Wälder, Bäche und Felder boten ein ausreichendes Nahrungsangebot, wenn auch die Art der Zubereitung sicher den an der französischen Küche geschulten kulinarischen Ansprüchen Theodor Fontanes kaum entsprochen haben dürfte. Möglich, dass ihn die regionale Küche sogar dazu veranlasst hat, dieses eher pessimistische Weihnachtsgedicht zu schreiben:

Alles still!

Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.

Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.

Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.

Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht –
Heiße Tränen nieder tropfen
Auf die kalte Winterpracht.

Fotos: KP Privat, Pixabay.com, KI-generiert