Ein neues Dachfür die Kammerspiele?
Zum Glück regnet es zurzeit wenig, denn sonst müssten auf dem Dachboden und vereinzelt im großen Saal der Kammerspiele Eimer aufgestellt werden. Das Dach des traditionsreichen Kinos ist seit geraumer Zeit undicht, an einigen Stellen tropft es durch, sobald es draußen heftiger regnet. Die Wasserflecke an der Decke sind unübersehbar. Es bestehe jedoch keine Gefahr für das Publikum, versichert Joachim Kosack, der gemeinsam mit Carolin Huder die Kulturgenossenschaft „Neue Kammerspiele e. G.“ leitet. Der Kulturbetrieb läuft weiter und das zunehmend erfolgreicher. Es ist dem Engagement dieser Gruppe zu verdanken, dass das Kino 2012 vor der Schließung bewahrt werden konnte. Mittlerweile haben sich die Kammerspiele wieder zu einem wichtigen kulturellen Zentrum im Ort entwickelt.
Eröffnet wurden die Kammerspiele 1936 mit 499 Plätzen. Es war die Zeit der großen „Lichtspielhäuser“, eine Bezeichnung, die sich unter den Nationalsozialisten verbreitete, um das Kino aufzuwerten. Um die Zeit, als Karl Bornemannn, der Großvater des heutigen Eigentümers, die Kammerspiele eröffnete, gingen bis zu 400 Millionen Menschen deutschlandweit in die Kinos. Über die Leinwand ließ sich die NS-Propaganda flächendeckend verbreiten, und die Reichsfilmkammer nahm gezielt Einfluss auf das Programm. Zur beabsichtigten Verstaatlichung des Kinos kam es nicht mehr. Das Gebäude überstand die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs weitestgehend unversehrt.

Auch die DDR war sich der allgemeinen Wirkung von Kinos bewusst und achtete darauf, dass die gezeigten Filme der SED-Linie entsprachen. Der Sohn Wolfgang Bornemann hatte mittlerweile das Kinogeschäft von seinem Vater übernommen. Er floh 1960 mit seiner Familie in den Westen. Der Kreislichtspielbetrieb Potsdam übernahm daraufhin den Spielbetrieb im Sinne der Genossen. Neben dem Kino fanden in den Räumen der Kammerspiele größere Versammlungen statt, hier wurden die Jugendweihen ausgerichtet und tagte die Partei. In den 50er Jahren wurde das Fernsehen auch in der DDR zu einem Konkurrenten, und das Kino verlor an Attraktivität. Dennoch spielten die Kammerspiele als kultureller Versammlungsort weiterhin eine wichtige Rolle in Kleinmachnow. Für so manchen Einwohner verbinden sich bis heute persönliche Erinnerungen mit dieser Kulturstätte. 1980 übernahm die Gemeinde das Gebäude.

Nach der Wende setzte im Osten das große Kinosterben ein. Viele der kleinen Lichtspielhäuser in der Provinz wurden geschlossen. Eine veraltete Technik, unbequeme Bestuhlung und sanierungsbedürftige Gebäude machten den Weiterbetrieb unter den neuen Marktbedingungen unrentabel. Oft wurden sie, ähnlich wie bereits Jahre vorher im Westen, in Supermärkte oder Videotheken umgewandelt. Karl-Heinz Bornemann, der das Gebäude und das Grundstück rückerstattet bekommen hatte, betrieb das Kino in dritter Generation weiter. Er konnte jedoch dem Trend zum häuslichen Couchkino nichts entgegensetzen. Es fehlten zudem die Mittel, mit den kulturellen Angeboten und der Anziehungskraft Berlins mitzuhalten.
Mittlerweile sitzt man richtig bequem auf den Sitzen im großen Saal. Dank der Idee der Stuhlpatenschaften konnten die Klappsitze in den vergangenen Jahren sukzessive neu bezogen und gepolstert werden. Seitdem die Kulturgenossenschaft die Neuen Kammerspiele betreibt, hat sich das Haus zu einem attraktiven Kulturstandort entwickelt – mit einer Anziehungskraft weit über den Ort hinaus. Das Angebot ist neben anspruchsvollen Filmen breit gefächert. Theater, Kleinkunst, Comedy, Tanz und Konzerte – der große Saal und die angrenzenden Räume werden vielfältig genutzt. Das „Schröders“, dessen Einnahmen dem Programm zugutekommen, hat sich zu einem kommunikativen Treffpunkt entwickelt. Die jetzigen Betreiber haben den Anspruch, für alle Alters– und Bevölkerungsgruppen in der Umgebung ein attraktives und vielfältiges Programm anzubieten. In den Ferien wird beispielsweise jeden Tag ein Kinderfilm gezeigt. Einmal im Monat findet eine Inklusionsdisco statt sowie Podiumsdiskussionen über aktuelle und kontroverse Themen. Das alles wird mit einer kleinen engagierten Gruppe organisatorisch bewältigt, gezahlt werden kann dafür nicht mehr als der Mindestlohn.

Doch das ständig fehlende Geld hat der Bausubstanz der Kammerspiele über die Jahre zugesetzt – womit man wieder auf die Eimer und das undichte Dach zurückkommen muss.
Für den Kulturgenossen und Bürgermeister Bodo Krause ist der Bestand der Kammerspiele „unverhandelbar“. Auch in der Gemeindevertretung ist man sich bisher mehrheitlich einig, dass die Kammerspiele weiter unterstützt werden sollten. Die Gemeinde hat das Gebäude gepachtet und subventioniert den laufenden Betrieb bisher mit monatlich 10.000 Euro. Damit lassen sich die notwendigen Sanierungskosten nicht stemmen. Wenn im kleinen Saal eine Theateraufführung ausgeleuchtet wird und gleichzeitig nebenan eine Filmvorführung läuft, ist die einzige Stromleitung im Haus überlastet und der Filmton fängt an zu brummen.
In den kommenden Wochen soll eine Begehung mit Sachverständigen stattfinden, um den Kostenrahmen für die dringende Dachsanierung besser einschätzen zu können. Ist die Gemeinde in der Lage, eine erste Etappe alleine zu stemmen, oder braucht es dafür externe Hilfe? Erst wenn der Umfang der dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen klar sei, könne man überlegen, so der Bürgermeister, welche Modelle zur Finanzierung herangezogen werden.
Bodo Krause sieht ein großes Entwicklungspotenzial in den Kammerspielen. Längst habe sich diese Kulturstätte zu einem Magneten in der Region entwickelt und trage zur Attraktivität des Ortes bei. Von der Nähe zu Berlin könnten die Kammerspiele nur profitieren. Spätestens wenn die Stammbahn irgendwann wieder in Betrieb gehe, entwickle sich die Gegend am Ortsrand zu Zehlendorf mit den Kammerspielen zu einem weiteren Ortszentrum.
Es ist mittlerweile klar erwiesen, dass ein attraktives, nicht staatlich gegängeltes Kulturangebot den wirtschaftlichen Standort von Kommunen fördert. Dies gilt sowohl für die Einwohner, die orts-ansässigen Betriebe als auch für Zuzugswillige und Gäste. Umso wichtiger ist es, die Kammerspiele trotz angespannter Haushaltslage mit den notwendigen Mitteln auszustatten. Es braucht eine langfristige, finanzielle Unterstützung der Neuen Kammerspiele als offene Kulturstätte, damit das vielfältige Angebot sich weiter entwickeln kann und der Charme des Gebäudes nicht verloren geht. Kultur ist kein Luxus, auch wenn es sich auf den ersten Blick scheinbar nicht rechnet.
Fotos: Ute Bönnen