Stahnsdorf

Ein schlafender Riese erwacht

In einer aktuellen Veröffentlichung schreibt der Soziologe Heinz Bude: „Das deutsche Gesundheitssystem wird aufgrund des demografischen Wandels zwangläufig mit einem Viertel weniger Personal auskommen müssen.“ Grund genug, um über das Leben im Alter und in Pflegeeinrichtungen neu nachzudenken und die Generationen so zusammenzubringen, dass alle davon profitieren. Im Mehrgenerationencampus, den die Familie Schroedter auf dem Gelände des ehemaligen Elisabeth-Sanatoriums errichten will, soll das in die Realität umgesetzt werden.

„Das Schlafende muss erwachen“ heißt es im Science-Fiction-Opus „Dune“ – das Gleiche muss sich die Familie Schroedter gedacht haben, als sie das Areal des ehemaligen Elisabeth-Sanatoriums am Ortsausgang von Stahnsdorf erwarb. Dabei wirkt das Gebäude mit seinem morbiden Charme und der lauten Umgebung in unmittelbarer Nähe der L40 auf den ersten Blick alles andere als verlockend oder gar geeignet für eine zukunftsweisende Grundstücksentwicklung. Vandalismusschäden, Einbrüche und Witterungsschäden haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, dass das imposante Baudenkmal mit der Zeit in einen erbarmungswürdigen Zustand kam, so dass der Sanierungsbedarf allein schon enorm ist und große Geldsummen verschlingen dürfte – von einer energetischen Ertüchtigung ganz zu schweigen. Dabei hat das Gebäude eine interessante und bewegte Vergangenheit.

Noch sind die Gänge im Elisabeth-Sanatorium verwaist, doch bald soll hier neues Leben Einzug halten.

Von der Erholungsstätte zur Insel im Verkehrslärm

Im Jahre 1912 wurde das ehemalige Sanatorium vom jüdischen Arzt Walter Freymuth als Lungensanatorium errichtet und nach seiner Frau Elisabeth benannt. Das Ehepaar wurde später von den Nationalsozialisten enteignet, die Klinik nach dem Krieg in eine Heilstätte für Haut- und Lymphdrüsentuberkulose umgewandelt – eine Krankheit, die erfolgreich bekämpft wurde und die Klinik daher unnötig machte. Die in den USA lebende Erbin Ursula Freymuth bekam das Gebäude nach der Wende zugesprochen, aber trotz vieler Nutzungsideen blieb das Gebäude seit 1994 leer und entwickelte sich erst zum Hotspot für Lost Place-Fotografen, dann immer mehr zum Tummelplatz für Einbruch und Vandalismus. Minderwertige Graffiti zeugen von wenig Respekt vor der historischen Substanz. Der Straßenbau gab dem Anwesen den Rest: Mittlerweile ist die ehemalige Ruheoase, wo sich Lungenkranke in einer offenen Liegehalle an der frischen Luft erholen konnten, von geräuschvollem Straßenverkehr umzingelt. Da beim Bau der L40 noch keine Gebäudenutzung in Sicht war, hat die Landesbehörde endgültig auf einen Lärmschutzwall verzichtet – zum Bedauern der jetzigen Eigentümer, die das Problem nun selbst in Angriff nehmen müssen.

Dass unter diesen widrigen Bedingungen dennoch ein Ort des Wohnens und Wohlfühlens entstehen kann, davon ist die Familie Schroedter überzeugt. Der erste Schritt ist getan: 2019 wurde das Gelände aus dem Landschaftsschutzgebiet Parforceheide herausgelöst und zur Bebauung freigegeben, kurze Zeit später stimmte die Gemeindevertretung den Bebauungsplänen zu. Seitdem gibt es breite Unterstützung für das Vorhaben: Landrat Marko Köhler und Bundeskanzler Olaf Scholz wollen es mit Mitteln des Denkmalschutz-Sonderprogramms fördern, auch Bauministerin Gleywitz hat ihren Besuch zugesagt. Doch zunächst wird ein bauhistorisches Gutachten angefertigt, so dass man überhaupt eine Grundlage für die Sanierungsplanung hat und zu realistischen Kostenschätzungen kommen kann. Leider gibt es keine Bauakten von damals, so muss alles neu vermessen und kalkuliert werden, ein riesiger Aufwand mit unabsehbaren Kosten. Da fragt man sich tatsächlich, woher die Familie Schroedter so viel Zuversicht nehmen kann. Doch man zeigt sich optimistisch: „Wir haben es uns zur Lebensaufgabe gemacht, die Idee des klassischen Pflegeheims aufzubrechen. Alte und junge Menschen können sich gegenseitig stützen. Das sehen wir in unserer eigenen Familie und glauben fest daran, dass sich das auch im Großen umsetzen lässt.“

Die Vision von Zusammenleben und Teilhabe

Die Stahnsdorferin Anne Cathrin Schroedter, gelernte Pflegefachkraft und Geschäftsführerin der E.P.S. – Experten Pflege Service GmbH, hatte schon während ihrer Ausbildung die Idee, dass Pflege ganz anders aussehen müsste als bisher praktiziert. Ein Pflegefall in der eigenen Familie gab den Anstoß, dass auch ihr Bruder Sebastian Schroedter und der Vater Wolfhardt Schroeter in die aktive Umsetzung mit einbezogen wurden. Beide bringen ideale Voraussetzungen mit: Sebastian Schroedter ist Wirtschaftsingenieur und Unternehmensberater, der Senior ist Ingenieur und hat über 30 Jahre Erfahrung im Management großer Industrie-, Hotel- und Infrastrukturbauten. Es lässt sich nachvollziehen: Nur so könnte ein Megaprojekt wie dieses gelingen. Trotzdem wird es nicht ohne weitere Geldgeber, Projektbeteiligte und Bankdarlehen zu stemmen sein, daher wird intensiv nach Partnern und Unterstützern gesucht. Im Umfeld zunehmend schwieriger Wirtschaftsentwicklung, höherer Bau- und Energiekosten wie auch steigender Zinsen eine große Herausforderung. Vielleicht könnten auch ein Förderverein, Institutionen oder Mäzene, Firmen und zukünftige Bewohner mit einsteigen, hofft Sebastian Schroedter. Das Gelände bietet vielfältige Bebauungsoptionen: Neben dem historischen Gebäude, das wegen seiner Ausrichtung zur L40 hin nicht für Wohnzwecke geeignet ist (sehr wohl aber für Firmen und Gastronomie, vielleicht auch ein Kino und ein Biergarten), sollen verschiedene Baukörper entstehen, die so gestaltet sind, dass die einen Lärmschatten erzeugen.

2024 soll die Rettung für die angegriffene Bausubstanz kommen.

Dort können Familien wohnen, dort ist aber auch Raum für inklusive Wohnprojekte für Jung und Alt, einen Kindergarten mit 80 Plätzen, diverse Gesundheits- und Betreuungseinrichtungen. 2024 wird mit dem Baubeginn gerechnet, die Fertigstellung soll 2026 erfolgen. „Dann könnten ungefähr 400 Leute dort wohnen, und es gäbe zirka 200 Arbeitsplätze vor Ort“ schätzt Schroedter. Die Verkehrslage ist jedenfalls äußerst günstig: Eltern können ihre Kinder auf dem Arbeitsweg abgeben und abholen, Besucher erreichen den Campus per Auto oder Bus. Für Ruhesuchende auf der anderen Seite kein geeigneter Ort, aber das ist auch nicht geplant: „Hier wird es immer Leben geben. Schließlich sollen die Senioren das Gefühl haben, sie werden noch gebraucht. Menschliche Pflege, wie wir sie verstehen, bedingt Nähe, und die ist unter diesen Umständen immer gegeben“ betont Schroedter. Von diesem Grundkonzept ist der Stahnsdorfer Seniorenbeirat sehr angetan und unterstützt das Vorhaben im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Doch abgesehen von diesem Zweck könnte das Bauvorhaben auch Platz bieten für studentische Projekte – beispielsweise bei der Altbaurestaurierung, der Sozial- und Gesundheitsforschung oder beim Erproben geeigneter Techniken zum Lärmschutz. Kreative dürften auf dem Gelände ein unerschöpfliches Areal zur Verwirklichung eigener Ideen finden, aber zu hoffen ist, dass sich daneben auch viele Geldgeber finden, die deren Umsetzung ermöglichen. Interessensbekundungen gibt es bereits, aber noch wurden keine Verträge abgeschlossen. Hoffen wir, dass das Vorhaben wirklich so umgesetzt werden kann, wie Familie Schroedter sich das vorstellt. Dem sympathischen Familientrio ist das nur zu wünschen. KP

Bilder: Mario Kacner

Dieser Beitrag ist erstmalig in der Februar-Ausgabe des Lokal-Reports erschienen.