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Das atmosphärische Gedächtnis, das Milliarden Menschen ernährt – neu entdeckter Mechanismus für Monsunregen

Monsunregen weltweit schalten sich im Frühling ein und im Herbst wieder aus. Bisher wurde dies vor allem als Reaktion auf die Sonneneinstrahlung verstanden. Eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt nun erstmals, dass die Atmosphäre in besonderen Situationen ein Gedächtnis haben kann. Sie kann mittels eines ‚physikalischen Erinnerungsvermögens‘ über längere Zeit Feuchtigkeit speichern und so zwischen zwei stabilen Zuständen hin- und herschalten. Sollte dieses empfindliche Gleichgewicht aus dem Takt geraten, hätte das gravierende Folgen für Milliarden von Menschen.

„Die Atmosphäre kann sich an ihren vorherigen Zustand ‚erinnern‘, das heißt sie speichert physikalische Informationen in Form von Wasserdampf“, erklärt Anja Katzenberger, PIK-Wissenschaftlerin und Autorin der Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift PNAS. „In der Realität bedeutet das: Auch wenn die Sonneneinstrahlung im Jahresverlauf zunimmt oder abnimmt, reagiert die Atmosphäre nicht immer sofort. Im Frühjahr sammelt sie über Tage und Wochen Wasserdampf an. Dieses Reservoir bestimmt das Einsetzen des Monsunregens und erhält ihn auch, wenn im Herbst die Sonneneinstrahlung langsam weniger wird.”

Pfadabhängigkeit in der Atmosphäre: Wie sich der Monsun „erinnert“

Wie sich dieses physikalische Erinnerungsvermögen auswirkt, zeigt die Studie mithilfe einer Kombination aus Beobachtungsdaten aus Indien, China und anderen Monsunregionen der Welt und Computersimulationen der Atmosphäre. Sie belegen: Der Zustand der Atmosphäre hängt von ihrer Historie im Jahresverlauf ab. Regnet es bereits, dann erhält sich der Regen selbst. Ist es aber trocken gewesen, dann ist es schwer den Regen in Gang zu bringen. Im Frühling war es meist zuvor lange trocken – die Atmosphäre muss sich also erst mit Wasserdampf „aufladen“, bevor der Monsun einsetzen kann. Im Herbst hingegen ist die Luft in feucht-tropischen Regionen noch feucht vom Sommermonsun – und bleibt es, auch wenn die Sonne bereits viel zu schwach scheint. „Dieses Verhalten nennen wir Bistabilität“, erklärt Katzenberger. „Die Atmosphäre kann bei der gleichen Sonneneinstrahlung entweder Trockenheit oder Regen bringen, je nachdem, was vorher war.”

„Solch ein Erinnerungsvermögen kennen wir vom trägen Ozean und von den massiven Eisschilden, aber in der Atmosphäre wurde es bisher für unmöglich gehalten“, sagt Anders Levermann, Koautor und Leiter der Komplexitätsforschung am Potsdam-Institut. „Es führt zu einer Art Schalterverhalten des Monsunregens – zu einer Bistabilität. Das Monsunsystem schaltet im Frühling den Regen ein und schaltet ihn dann im Herbst wieder aus. Der Wechsel erfolgt dabei nicht allmählich, sondern abrupt, plötzlich.“ Ein solches Verhalten ist auch aus anderen Kippprozessen im Klimasystem bekannt, so Levermann. „Besonders ist aber, dass der Monsun jedes Jahr seinen Kipppunkt überschreitet und dann wieder zurückkommt,“ erklärt er. „Das könnte es uns in der Zukunft ermöglichen, den Kipppunkt tatsächlich mit Beobachtungsdaten zu bestimmen und ein Frühwarnsystem zu entwickeln.“

Eine Kombination von Beobachtungen, Berechnungen und Simulationen

Um den Mechanismus dieses beobachteten bistabilen Verhaltens bei Monsunen besser zu verstehen, nutzte das Forschungsteam zum einen ein hoch-komplexes dreidimensionales Computermodel, dass an der Princeton University entwickelt wurde und zum anderen Berechnungen, die auf den Grundgleichungen der Thermodynamik beruhen. In den Computersimulationen kreierten die Forschenden einen idealisierten ‘Monsunplaneten‘, auf dem der Monsun das dominante Wettersystem ist. Dort separierten sie die Atmosphärendynamik von Einflüssen langsamerer Bestandteile des Erdsystems wie der Ozeane und deren Wärmespeicherung. Die Ergebnisse zeigten, dass der Monsun auch ohne die Trägheit des Ozeans ein Erinnerungsvermögen hat und zwischen trocken und feucht umschalten kann. Entscheidend ist die Bildung einer robusten Wassersäule in der Atmosphäre. Sie speichert Feuchtigkeit und stabilisiert den atmosphärischen Zustand über Wochen hinweg. Der zentrale Kipppunkt in diesem System kann klar als Schwellenwert identifiziert werden, so Katzenberger: „Sobald der Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre über eine Grenze von etwa 35 Kilogramm pro Quadratmeter steigt, setzt der Monsun ein. Sinkt er unter diesen Wert, endet der Monsun. Die Atmosphäre schaltet also abrupt um, abhängig davon, ob diese Schwelle über- oder unterschritten wird.“

Sollte dieser innere Rhythmus gestört werden, etwa durch Luftverschmutzung oder globale Erwärmung, könnte das Monsunsystem aus dem Takt geraten. „Das hätte gravierende Folgen für Milliarden Menschen, die in Regionen wie Indien, Indonesien, Brasilien und China vom Monsun abhängen – und es würde das Klimasystem und unsere Gesellschaft global beeinflussen“, betont Levermann.

Foto: Pixabay.com