Der Traum vom bezahlbaren Wohnen
In Deutschland gibt es momentan ungefähr eine Million Sozialwohnungen – nach aktuellen Schätzungen werden jedoch elf Millionen bezahlbare Wohnungen gebraucht, dazu noch zwei Millionen altersgerechte Wohnungen – akut fehlen laut einer Studie 910.000 Sozialwohnungen. Das von der Bundesregierung angestrebte Ziel, jährlich 400.000 neue Wohneinheiten zu bauen, wurde bei weitem verfehlt, nur ein Bruchteil sind überhaupt Sozialwohnungen. Viele Wohnungsunternehmen stellten letztes Jahr sämtliche Neubauvorhaben ein. Bleibt der Traum von bezahl-barem Wohnen eine Illusion? Und wie stehen die Chancen in unserer Region?
Im Jahre 2019 – zu einem Zeitpunkt, als die Nachfrage noch gerade so gedeckt werden konnte – hatte die Stadt Teltow ein Gutachten in Auftrag gegeben, um den zukünftigen Bedarf an bezahlbaren Wohnungen und besonders an Sozialwohnungen festzustellen. Dies auch unter dem Aspekt, dass die Sozialbindung und damit die Mietpreisbegrenzung bei vielen aktuell noch existierenden Sozialwohnungen bald auslaufen würde – mit der Folge von steigenden Mieten. Das Ergebnis: Insgesamt 1.800 Haushalte hätten einen Bedarf an günstigem Wohnraum, bis 2030 könnte diese Zahl sogar um fast ein Drittel steigen. Im Jahr dieser Veröffentlichung wurden in Teltow noch neue Sozialwohnungen an die glücklichen Mieter übergeben, doch wie sieht es jetzt und besonders in der Zukunft aus?
Dazu haben wir Paul Lohse, den Geschäftsführer der WGT, eben jener Wohnungsbaugesellschaft, die 2019 noch Sozialwohnungen in Teltow fertigstellte, befragt. „Die WGT Wohnungsbaugesellschaft Teltow mbH (WGT) verfügt derzeit über 80 Wohnungen mit einem Belegungsrecht für die Stadt Teltow zugunsten von Inhabern eines Wohnberechtigungsscheines (WBS)“, berichtet er. Ein Zweipersonenhaushalt mit 2.500 Euro Monatseinkommen hätte beispielsweise die Möglichkeit, einen WBS für eine 65 m2 große Sozialwohnung zu erhalten, ebenso die Bezieher von Bürgergeld. „Keine der Wohnungen im Bestand der WGT verliert in nächster Zeit ihre Mietpreis- und Belegungsbindung“, kann Paul Lohse die WGT-Mieter beruhigen. In anderen Gemeinden hingegen sieht es nicht so rosig aus, wie man verschiedentlich las. Die WGT hatte vorausschauend bereits 2018 bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg eine Verlängerung für weitere 20 Jahre beantragt. Trotzdem gibt es eine bittere Pille: Momentan hat die WGT nicht geplant, neue Sozialwohnungen zu errichten. Das liegt an mehreren Faktoren, beispielsweise an gestiegenen Zinsen und höheren Baukosten, aber auch an den Rahmenbedingungen: „Wir setzen uns für eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Stadt, Landesregierung und Bundesregierung ein, um finanzielle Unterstützung und bessere Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau – wie etwa die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen – zu erhalten“, so Lohse. Aber momentan scheinen die Umstände nicht günstig zu sein, was wohl auch am neuen Gebäudeenergiegesetz („Heizungsgesetz“) liegt, das Haus-eigentümern und Wohnungsverwaltungen umfangreiche Sanierungspflichten auferlegt. Dazu Lohse: „Die Sanierungskosten aufgrund des Gebäudeenergiegesetzes können von verschiedenen Faktoren abhängen, wie zum Beispiel dem Zustand des Gebäudes, der Art der erforderlichen Maßnahmen und den örtlichen Gegebenheiten. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Umsetzung des Gebäudeenergiegesetzes zu zusätzlichen Kosten führen wird, da energieeffiziente Maßnahmen oft mit Investitionen verbunden sind.“ Eine genauere Einschätzung der Auswirkung auf die Mieten ist momentan noch offen: „Es ist möglich, dass ein Teil der Sanierungskosten umgelegt werden muss, was zu einer Erhöhung der Mieten führen kann. Allerdings können entsprechende Förderpakete nicht nur den Anreiz zur Sanierung steigern, sondern auch die Kosten senken, um somit potenzielle Auswirkungen auf die Mieten abzumildern.“ Lohse hofft auf lokale Regelungen und konkrete Unterstützungsprogramme, auch um den Bestand an altersgerechten Wohnungen, bei denen er mit steigender Nachfrage rechnet, zu erweitern. Bezüglich der Miethöhe geht er momentan noch davon aus, dass sie trotz bedarfsgerechter Anpassung weiter im moderaten Bereich bleiben.
Festzuhalten ist jedoch, dass die WGT und viele weitere große Wohnungsunternehmen wie beispielsweise die Vonovia ihre Neubaupläne auf Eis gelegt haben. Dazu Unternehmenssprecher Friedrich in der Zeitschrift Focus: „Bauen muss sich auch für einen Wohnungskonzern wie Vonovia erst einmal rechnen. Und danach sieht es einstweilen nicht aus. Vor wenigen Jahren kostete ein Quadratmeter im Bau rund 3000 Euro, heute sind es etwa 5000 Euro, inklusive des Grundstücks. Um kostendeckend zu bauen, müssten Mieter 20 Euro pro Quadratmeter zahlen. … Etwa 37 Prozent der Kosten entfallen übrigens auf staatliche Anteile wie Grunderwerbssteuer, Umsatzsteuer, Gebühren, also kostentreibende Faktoren, die noch zusätzlich zu Inflation und Bauzinsen hinzukämen.“ Von einer Chance auf Neubau und soziale Mieten kann so keine Rede sein.
Allein die Preissteigerungen beim Baumaterial waren enorm: Der Preis für Zement, Kalk und gebrannten Gips hatte im Zeitraum von Januar 2022 bis Januar 2023 um 40,7 Prozent zugelegt. Auch Vliese waren um 30,6 Prozent teurer geworden, Asphaltmischgut verzeichnete einen Preisanstieg von 29 Prozent, Ziegel von 25,1 Prozent und Beton von 20,9 Prozent. Laut Destatis waren jedoch Holzprodukte mit einem Plus von bis zu 78 Prozent die Spitzenreiter bei den Preissteigerungen. Die Baubranche muss sich nach Ende der Strom- und Gaspreisbremsen darauf einstellen, dass die Preise auch weiterhin volatil sein werden, zumal steigende CO2-Abgaben und Subventionskürzungen sowie eine allgemeine Verunsicherung bezüglich zukünftiger Entscheidungen der Bundesregierung eine Rolle spielen. Doch auch in anderen europäischen Ländern stockt der Wohnungsbau wegen der in den letzten Jahren verschlechterten Rahmenbedingungen: So stehen allein in London 323.827 Haushalte auf der Warteliste für eine Sozialwohnung. Und wenn man etwas zurückblickt: Auch die DDR hatte den grassierenden Wohnungsmangel nicht in den Griff bekommen: Günstige, subventionierte Mieten nützen nichts, wenn es zu wenig Wohnungen gibt – auch damals fehlte es an günstigem und verfügbarem Baumaterial.
Also keine Chance für den Neubau von bezahlbarem Wohnraum, der abgesehen von Sozialwohnungen auch allgemein in steigendem Maße nachgefragt wird? Vielleicht gäbe es eine Möglichkeit, Bauvorhaben auch unter widrigen Umständen zu realisieren, wenn man sich an Vorbildern aus der Vergangenheit orientieren würde. Gehen wir zurück in die Zeit Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre. Hyperinflation und die große Weltwirtschaftskrise führen dazu, dass die Rahmenbedingungen für den Bau von bezahlbarem Wohnraum ähnlich miserabel sind wie heute. In Berlin gibt es zahlreiche Familien, die unter beengten und ungesunden Wohnverhältnissen leiden. In diesem Umfeld gelingt das Kunststück, auf einem damals unbebauten Gelände am Rande Berlins eine Siedlung mit Sozialwohnungen für etwa 15.000 Bewohnerinnen und Bewohner zu errichten – und das mit anspruchsvoller, farbenfroher Architektur, einem angenehmen Wohnumfeld, Einkaufsmöglichkeiten, U-Bahn-Anschluss und damit einer hohen Lebensqualität. Dazu wurde die GEHAG gegründet, eine von Gewerkschaften und Baugenossenschaften geschaffene Wohnungsbaugesellschaft im Besitz der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und der Stadt Berlin. Sie sollte auch Arbeitern ein Leben in guten Wohnungen ermöglichen, ein Vorhaben, das trotz erheblichem Widerstand aus dem Villenbezirk Zehlendorf durchgesetzt wurde. Der Trick: Die Bauarbeiter sollten sich organisieren und ihre eigenen Betriebe aufmachen. Dabei ging es nicht um Gewinne, sie sollten bloß ihr Einkommen erwirtschaften. Die Gewerkschaften kauften Ziegeleien, Sägewerke und Wälder und kamen so an preiswertes Baumaterial, sie vergaben günstige Kredite, dazu gab es staatliche Subventionen. Es wurden innovative und trotzdem preisbewusste Architekten engagiert, deren Werk vielleicht sogar bald zum Unesco-Weltkulturerbe gehören wird.
So gelang mit der Zehlendorfer Waldsiedlung (auch „Papageiensiedlung“ genannt) ein Meisterwerk sozialen Wohnungsbaus – unter widrigsten Umständen, die von wirtschaftlicher Seite noch viel schlimmer waren als heute. Sollte man sich jetzt wieder zurückbesinnen auf den damaligen Erfolg und einfach den Mut haben, solch ein Vorhaben umzusetzen? Nötig wäre eine schnelle Lösung, denn laut Studie des Pestel-Instituts im Auftrag des Bündnisses „Soziales Wohnen“ fehlen akut fast eine Million Sozialwohnungen.
Bundesbauministerin Klara Geywitz strebt zwar eine Neuauflage der Wohngemeinnützigkeit an inklusive Steuererleichterungen für Wohnungsbaugesellschaften, sie will auch mehr staatliche Kontrolle – doch konkrete Pläne gibt es bisher nicht. Den in wissenschaftlichen Studien berechneten Bedarf bestritt sie jüngst öffentlich. Momentan sind die Sozialausgaben fürs Wohnen – also Wohngeld und die Mietenzahlungen für Bürgergeldempfänger – fünfmal so hoch wie die Förderung für den Neubau von Sozialwohnungen. Die Frage ist, ob und wann sich Bundes- und Landesregierungen dem dringenden Problem fehlender Sozialwohnungen widmen werden. Fest steht: Momentan (Stand Anfang März) wird auf einschlägigen Suchportalen im Internet keine einzige freie Sozialwohnung in unserer Region angeboten.
Fotos: WGT Teltow, Pixabay und Wikipedia