Von North Carolina nach Kleinmachnow
7.000 Kilometer von zu Hause entfernt lernt Imogen Moon Deutschland kennen. Wir sprachen mit der amerikanischen Austauschschülerin über
Kleinmachnow, Wildschweine und ihre Gastfamilie.
Die Reise von Imogen Moon nach Deutschland begann mit der Lektüre eines Zeitungsartikels in der New York Times. Darin wurde das Parlamentarische Patenschafts-Programm (PPP) zwischen dem Deutschen Bundestag und dem US-Kongress vorgestellt. Seit 1983 haben Schülerinnen und Schüler sowie junge Berufstätige die Möglichkeit, mit einem Stipendium des Deutschen Bundestages ein Austauschjahr in den USA zu erleben. Gleichzeitig sind junge Amerikaner für ein Austauschjahr in Deutschland zu Gast. „Als meine Mutter mir die Zeitung zeigte, wusste ich sofort: Das ist für mich!“, erinnert sich Imogen. Der lokal.report hat sich mit der amerikanischen Austauschschülerin in ihrem Lieblingscafé am Rathausplatz in Kleinmachnow verabredet. „Ich wollte schon immer nach Deutschland. Mit meinen Eltern war ich schon in vielen europä-ischen Ländern. Aber nie in Deutschland. Dabei wusste ich schon von klein auf so viel über Deutschland, weil mein älterer Bruder unzählige Bücher darüber hatte und mir immer davon erzählt hat. Besonders das politische System in Deutschland fasziniert mich.“ Imogen ist knapp 16 Jahre alt, wurde in Kalifornien geboren und lebt mit ihren Eltern in Chapel Hill im Bundesstaat North Carolina. Die Stadt ist nicht groß, aber stark akademisch geprägt. Hier befindet sich die University of North Carolina at Chapel Hill (UNC), die älteste staatlich finanzierte Universität der USA. „Ich habe mich sofort für das PPP beworben. Dann gab es unzählige Interviews und Auswahlverfahren. Aber ich habe es geschafft“, erzählt Imogen stolz.
Als nächstes brauchte Imogen Moon eine Gastfamilie in Deutschland für die Dauer ihres einjährigen Aufenthalts. Hier half ihr Experiment e. V., Deutschlands älteste gemeinnützige Austauschorganisation. Seit über 90 Jahren fördert der Verein den Kontakt zwischen Menschen aller Kulturen, Religionen und Altersgruppen. „Die größte Hürde ist es, das Konzept ´Gastfamilie werden´ bekannt zu machen, denn viele Familien können sich zunächst nicht viel darunter vorstellen. Sobald sie mehr Informationen erhalten, sind die meisten aber Feuer und Flamme“, weiß Lisa Guderjahn von Experiment e. V. zu berichten. Jährlich reisen über 2.000 Jugendliche mit Experiment ins Ausland und nach Deutschland. Kooperationspartner sind u. a. das Auswärtige Amt, die US-Botschaft, der DAAD, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Deutsche Bundestag. „In der Regel läuft die Vermittlung so ab, dass sich interessierte Familien bei uns melden und wir mit ihnen ein erstes Gespräch führen, um offene Fragen zu klären und das Prinzip ´Gastfamilie werden´ vorzustellen. Anschließend wird die potenzielle Gastfamilie von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter von Experiment besucht. Ziel ist es, die Familie und ihre Umgebung kennen zu lernen und zu sehen, ob alles für die Aufnahme eines Gastkindes bereit ist. Wenn das Kennenlerngespräch positiv verläuft, erhält die Familie von uns ausgewählte Vorschläge für geeignete Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die auf der Suche nach einer Gastfamilie sind. Wenn beide Seiten einverstanden sind, kann die Erfahrung als Gastfamilie beginnen.“
Imogens Gastfamilie heißt Schweizer/Metzger und lebt in Kleinmachnow. Die Entscheidung, einen fremden Menschen in ihr Haus und ihre Familie aufzunehmen fiel einfach, so Kerstin Schweizer. „2015 hatten wir über Experiment ein Gastkind aus Texas. Zwei unserer drei Kinder waren selbst in den USA, unsere jüngste Tochter war in Kanada. Wir finden es wichtig, einen Einblick in andere Kulturen zu bekommen. Der Austausch funktioniert aber nur, wenn es auch Gastfamilien gibt. Da die Gasteltern in den USA die Kinder unentgeltlich aufnehmen, wollten wir im Gegenzug auch Kindern aus den USA diese Möglichkeit geben. Auch wir bekommen von Imogen kein Geld für Unterkunft und Verpflegung. Hinzu kam, dass unsere Tochter Maren nach ihrem Aufenthalt in Kanada unbedingt selbst Gastschwester werden wollte. “ In Maren hat Imogen beinahe eine Schwester gefunden. Und einen Lotsen, der ihr durch den deutschen Alltag hilft. Denn die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA sind groß. So musste sich Imogen in der Region Teltow-Stahnsdorf-Kleinmachnow erst einmal in das komplexe Netz des öffentlichen Nahverkehrs einarbeiten. „In meinem Heimatort gibt es nur eine Buslinie. Hier gibt es viele. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas wie eine ÖPNV-App gibt. Mittlerweile finde ich sie super“, sagt Imogen. Sie wunderte sich auch darüber, wie wenig Menschen hier die Gottesdienste besuchen und dass man immer noch persönlich zu den Ämtern gehen muss und nicht alles digital erledigen kann. Bald nach ihrer Ankunft, traf sie auch auf die berühmten Kleinmachnower Wildschweine. „In den USA bin ich nur als Kind Fahrrad gefahren. Hier musste ich es erst wieder lernen. Und bin direkt in eine Wildschweinrotte gefahren. Alle haben mir gesagt: ´Wenn du Wildschweine triffst, bist du tot!´ Aber ich musste nur gut klingeln, dann haben sie mich durchgelassen. Aus den USA kannte ich nur Koyoten und Pumas. Die sind nicht so höflich wie die deutschen Wildschweine.“
Imogen sprach kein Deutsch, bevor sie nach Deutschland kam. Deshalb besuchte sie, wie alle anderen PPP-Teilnehmer auch, zunächst einen Intensivkurs. Inzwischen geht sie auf die Maxim-Gorki-Gesamtschule in Kleinmachnow. Die größten Schwierigkeiten bereitet ihr das „der, die, das“, aber sie ist fest entschlossen, in ihrem Austauschjahr so viel wie möglich zu lernen. Am schnellsten geht das inerhalb der Gastfamilie, zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen. Besonders ihr Monkey Bread, ein typisch amerikanischer Kuchen mit viel Butter, karamelisiertem Zucker und Zimt, kommt bei Familie Schweizer gut an. „Ich komme aus einer nicht vegetarischen Familie, aber in meiner Gastfamilie wird oft vegetarisch gekocht. Das finde ich interessant. Und in den Herbstferien waren wir in Süddeutschland auf einem richtigen Bauernhof, wo es leckere Schnitzel gab.“
Wie ihre berufliche Zukunft aussehen wird, weiß Imogen noch nicht genau. Aber sie glaubt, dass sie mit Politik und Geschichte zu tun haben wird. Nach ihrer Rückkehr wird sie ihren Abgeordneten im Senat treffen und ihm von ihren Eindrücken in Deutschland berichten. Auch wenn sie noch nicht alle Feinheiten des deutschen politischen Systems kennt, findet sie es sehr beeindruckend, wie sich Deutschland von einem totalitären Staat zu einer repräsentativen Demokratie entwickelt hat. „Ich interresiere mich sehr für Politik und Demokratie und ich will immer gut informiert sein. Ich glaube auch, dass Politikverdrossenheit sehr gefährlich sein kann. Gute Wahlbeteiligung ist keine Frage der Methode, sondern der Haltung.“
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