BrandenburgGeschichteGrossbeerenKircheKulturMalereiMusikStahnsdorfTeltowWissen

Vor 150 Jahren – Traditionelle Weihnachtsbräuche in Teltow und Stahnsdorf

Wie Weihnachten vor 50 Jahren gefeiert wurde, können wir noch von unseren Großeltern erfahren. Welche Traditionen vor 150 Jahren in unserer Region üblich waren, ist unter anderem bei Theodor Fontane nachzulesen, der die Bräuche aus seiner Kindheit, aber auch aus anderen Regionen Brandenburgs beschrieb. Weitere historische Quellen finden sich in Heimatchroniken und alten Rezeptbüchern. Begleiten wir zwei Familien – eine aus Teltow, eine aus Stahnsdorf – durch die Weihnachtszeit.

In der Teltower Ritterstraße wohnt die Familie Lohse. Vater Max – gebürtiger Berliner – ist Richter am ­Königlichen Stadtgericht, Mutter Erna ist Hausfrau. Zum Haushalt gehören noch vier Kinder: Wilhelm (13), Luise (12), Karl (10) und Friedrich (9) sowie die Großeltern Frieda und Karl und das hinterpommersche Hausmädchen Meta.

Max Lohse war nach dem Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin nach Teltow versetzt worden. Aufgrund seines Richterberufs und seines Engagements in der St. Andreas-Kirchengemeinde gehört er zu den Honoratioren der Stadt und führt ein recht angenehmes bürgerliches Leben. Kürzlich hat er gehört, dass in Seehof eine neue Villenkolonie errichtet werden soll, und so hat er – da sein Haus nicht standesgemäß erscheint – ein Grundstück erworben und einen Berliner Architekten mit dem Entwurf einer Villa beauftragt. Im nächsten Jahr, 1874, soll der Einzug erfolgen. Die Kinder freuen sich schon auf die nahegelegene Badeanstalt am See (der Teltowkanal existiert noch nicht). Ab 1888 wird Herr Lohse sogar mit der Dampfstraßenbahn zur Arbeit fahren können.

Dampfeisenbahn Ruhlsdorfer Platz um 1900 / Foto: Stadt Teltow

Die Weihnachtszeit ist für die Familie immer etwas Besonderes, denn für die gläubigen Christen ist das Fest (neben Ostern) der Höhepunkt des Jahres. Dabei beginnt die Festzeit bereits am 11. November mit dem Martinstag, an dem die Kinder mit Laternen durch Teltow ziehen. Außerdem gibt es – wie jedes Jahr – Gänsekeulen mit Rotkohl. Am 30. November, dem Andreastag, ist Meta ganz aufgeregt, denn sie glaubt, ihr Zukünftiger könne ihr nachts im Traum erscheinen – doch die Hoffnung ist vergebens.

Dann endlich naht der erste Adventssonntag: Auf dem Teltower Marktplatz gibt es einen Weihnachtsmarkt, auf dem etliche Stände Süßigkeiten und Kunsthandwerk anbieten, und man hat sogar ein kleines handbetriebenes Karussell aufgebaut. Für die Kinder ist es ein Vergnügen, wenn sich auch nicht alle die Fahrt leisten können. Von der Bäckerstraße her weht ein Duft von Lebkuchen, dem Familie Lohse nicht widerstehen kann, und einige Knaben verkaufen Waldteufel. So werden die Brummer genannt, mit denen man schön Krach machen kann – Wilhelm, Karl und Friedrich wollen unbedingt welche haben und betteln so lange, bis Vater Max welche kauft. Daneben gibt es nach Einbruch der Dunkelheit Märchenvorführungen mit bewegten Bildern einer Laterna Magica, eine ganz besondere Attraktion.

Am 04. Dezember stellt Frau Lohse Zweige von Kirschbäumen in die Vase. Blühen sie zu Weihnachten, dann verheißt das Glück und Segen für das Haus. Am Vorabend des 06. Dezember stellen die Kinder Schuhe vor die Tür – und tatsächlich bringt Nikolaus kleine Geschenke und Bonbons.

Heinrich Zille – Weihnachten / Foto: Wikimedia

Jetzt beginnt die Zeit der Weihnachtsbäckerei. Oma Frieda backt Plätzchen mit den Kindern und auch schon den ersten Stollen, denn zu den Adventsnachmittagen wird viel Besuch erwartet: Der Herr Pfarrer, der Apotheker und der Bürgermeister kommen mit ihren Gattinnen zum Kaffee. Oma hat schon frühzeitig die nötigen Zutaten besorgt und wird nach ihrem traditionellen Rezept backen, das dem von Fontanes Großmutter ähnelt: 11 Pfund Mehl, 5 Pfund Butter, 2 Schock Eier, 1 Quart Milch, 1/4 Quart Hefe, 1/2 Pfund Zitronat, 1/2 Pfund Rosinen, 1/2 Pfund Mandeln, 3/4 Pfund Zucker, eine Prise Muskatblüte und geriebene Zitronenschale werden zu einem festen Teig verarbeitet, nach dem Backen mit ordentlich flüssiger Butter bestrichen und mit Puderzucker bestäubt. Kein Wunder, dass die Gäste von Omas Stollen schwärmen. Vater Lohse bevorzugt den in seiner Herrenrunde beliebten Sherry-Punsch: 1 Flasche Rum, 1 Flasche Sherry, 300 – 350 Gramm Zucker, 2 Liter Wasser und der Saft einer halben Zitrone. Kein Wunder, wenn Opa Karl danach gar nicht mehr aufhören kann, von der siegreichen Völkerschlacht 1813 bei Großbeeren zu schwärmen.

An Heiligabend geht die ganze Familie in die St. Andreaskirche. Die Teltower Schüler haben sich neben der kerzenbeleuchteten Krippe aufgestellt und singen den Quempas, das heißt: Nach alter Sitte führen sie die Gemeinde beim Weihnachtsliedersingen an, denn viele Gemeindemitglieder können die Texte im Gesangbuch nicht lesen. Die Bescherung unterm Weihnachtsbaum fällt reichlich aus. Der Weihnachtsmann – Opa Karl mit rußgeschwärztem Gesicht, rotem Mantel und weißem Bart – bringt Trommeln, hölzerne Gewehre, ein Schaukelpferd, Zinnsoldaten für die Jungen und eine Puppe aus Sonneberg sowie bunte Oblatenbilder für Luise. Meta bekommt eine Pralinenschachtel. Am ersten Feiertag gibt es eine Gans mit Teltower ­Rübchen, Vater Lohses Leibspeise. Die pommersche Gans hat Ilse, Metas Schwester, mitgebracht. Auch der Schwager, Kommandant der Kaiserlichen Kaserne in Potsdam, kommt zu Besuch. Während er mit der Familie speist, machen sich seine Soldaten über die 150 Liter Bier her, die jede Kompanie erhalten hat. Vater Lohse rezitiert ein Weihnachtsgedicht von Adolf Glaßbrenner:

Am Weihnachtsfeste hab‘ ick Ruh‘,
von wegen meiner Ollen;
Sie wäscht und plät‘t und spült dazu,
Und ick helf‘ manchmal rollen.
Und kommt der Christmarkt erscht heran,
Giebt allgemenen Frieden;
Sie macht Rosinenmänner dann,
Un ick bau‘ Pergemiden.

(Gemeint sind hölzerne Weihnachtspyramiden mit Tannenzweigen, die Vorläufer des Weihnachtsbaums.)

Bei Familie Schultze aus Stahnsdorf ­verläuft die Weihnachtszeit anders. Die ­Bauernfamilie – Vater Max, Mutter ­Marie, sechs Kinder: Max (17), Erwin (16), Anna (15), Theodor (14), Oskar (13) und Olga (8), außerdem noch Oma Frieda – wohnt am Dorfplatz, gegenüber der alten Dorfkirche. Durch den kaiserlichen Erlass nach der Märzrevolution 1848 hatten sie 200 Morgen Ackerland zugesprochen bekommen, das vorher zum Gutshof gehörte, leider zu einem Drittel Sandboden und auch einige sumpfige Flächen. Im bescheidenen Bauerhaus, direkt neben dem Stall, wohnen außerdem noch zwei Knechte und eine Magd sowie in einem Schuppen ein alter Tagelöhner. Neben dem Anbau von Futtergetreide und Kartoffeln hält man auf dem Hof noch zwei Ackergäule, zwei Kühe, drei Schweine und etliche Hühner, und im Bauerngarten baut die Familie Gemüse an, das Oma Frieda mit dem Hundewagen zum Markt nach Teltow bringt, um es dort zu verkaufen. Viel wirft die Landwirtschaft nicht ab, so laufen die Kinder meist barfuß herum, um die Schuhe zu schonen, und auch an der Kleidung wird gespart. Daher halten sich alle gern im Stall oder im Heuschober auf, wo es meist wärmer ist als im Haus. In der Küche steht ein torfbeheizter Herd, der Ofen in der Stube wird nur zu Feiertagen geheizt.

Dorfkirche Stahnsdorf / Foto: Gemeinde Stahnsdorf

Trotz aller Entbehrungen ist es eine fröhliche Familie, die die traditionellen dörflichen Weihnachtsbräuche mit großem Eifer zelebriert. Am Martinstag sammeln sich die Jungen am Dorfteich zum Martinsfeuer, danach ziehen die Burschen im selbst gebastelten Pferdekostüm als Schimmelreiter durchs Dorf und necken die Mädchen, die drinnen am Spinnrad sitzen. Zu Nikolaus hängen die Kinder Strümpfe an die Tür und hoffen auf ein paar Kleinigkeiten, meist einen Apfel und ein paar Nüsse. Die Löcher in den Strümpfen hatten sie schnell vorher noch gestopft. Am 06. Dezember ziehen die jungen Burschen, als Tanzbären verkleidet, lärmend und tanzend durchs Dorf und klopfen an die Häuser, um etwas zu bekommen – meist ein Schmalzbrot, denn die Bauern haben gerade geschlachtet. Jeder verarbeitet sein Schwein zu Wurst und Sülze, brät das Fett zu Schmalz aus und pökelt das Fleisch, damit es sich lange hält, denn es gibt keine Kühlmöglichkeit. Die Familie achtet während der Adventszeit streng darauf, nichts unerledigt zu lassen, weil das Unglück bringen soll – und so putzt, räumt, bäckt und flickt man bis zur letzten Minute. Einen Besuch des Weihnachtsmarkts kann man sich nicht leisten. Drei Tage vor Weihnachten sitzt man abends noch lange bei Kerzenschein in der Küche, denn alle haben Angst, von der „Wilden Jagd“ geholt zu werden – einer altgermanischen Legende folgend. Oma Frieda glaubt jedenfalls fest daran und erzählt den Kindern Schauergeschichten.

Heinrich Zille – Alte Frau mit Hundefuhrwerk / Foto: Wikimedia

Und dann kommt endlich das langersehnte Weihnachtsfest. Am Morgen schon geht Bauer Schulze in den Stall und wünscht den Tieren frohe Weihnachten. Sie erhalten an diesem Tag eine Extraportion Futter, damit sie auch im nächsten Jahr gesund bleiben. Nachmittags geht die Familie hinüber zur Dorfkirche, die so voll ist, dass viele der gut 500 Stahnsdorfer den Gottesdienst durch die geöffnete Kirchentür verfolgen müssen. Auch hier singt der Kinderchor bekannte Weihnachtslieder, und die Schüler aus der Dorfschule führen ein Krippenspiel auf. Danach geht es zur Bescherung in die heimische Stube: Warme, selbst gestrickte Socken und Schals für die Kinder, eine neue Schürze für Oma und für die Bediensteten einen Stollen und eine Wurst. Lange sitzt die Familie in der Stube an der selbst gebastelten Pyramide und erzählt sich Geschichten bei Kerzenschein.

Für beide Familien wird es das letzte Weihnachten im großen Familienkreis gewesen sein: Wilhelm und Karl Lohse werden die neue Kadettenschule in ­Lichterfelde besuchen, während Erwin, Theodor und Oskar Schultze als Fabrikarbeiter nach Berlin gehen. Aber alle ­werden sich an den Zauber der Weihnacht von 1873 erinnern.

Fotos: Pixabay.com