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Olaf Ihlefeldt –Der Friedhofsretter

Während der DDR-Zeit teilweise im ­Dornröschenschlaf, nach der Wende zunächst ­relativ ­unbeachtet hat der 1909 eröffnete ­Stahnsdorfer ­Südwestkirchhof ­mittlerweile seinen hohen ­Bekanntheitsgrad ­wiedererlangt und sich auch als kultureller ­Veranstaltungsort etabliert – dank der ­unermüdlichen ­Arbeit von Olaf Ihlefeldt. Dass die Gemeinde ihn dafür mit der ­Stahnsdorfer Ehrennadel ausgezeichnet hat, ist mehr als verdient – denn all das hat er nicht in seiner Tätigkeit als Friedhofsverwalter, sondern ehrenamtlich in ­seiner Freizeit organisiert.

Dass Olaf Ihlefeldt einmal die Verwaltung eines Friedhofs leiten würde, hat er früher nie geahnt. Als Kind faszinierten ihn zwar Flora und Fauna in Omas Garten, aber seine Familie, die in Güterfelde ein Elektronikfachgeschäft betreibt, versuchte zunächst, ihm die Beschäftigung mit Lötkolben und Schraubendreher schmackhaft zu machen – vergebens, wie sich bald herausstellte: „Das war einfach nicht mein Ding“, berichtet er. Nach der Schule bewarb er sich stattdessen für eine Gärtnerausbildung und hatte das Glück, eine Lehrstelle im Park Sanssouci zu ergattern. Die weitläufige Anlage war damals ein staatliches Vorzeigeobjekt und genoss dementsprechend besondere Beachtung und Unterstützung, denn gleichzeitig diente sie auch als wissenschaftliches Forschungsobjekt. Die theoretischen Grundlagen wurden an der pädagogischen Hochschule vermittelt, die Praxis vor Ort. Für Olaf ­Ihlefeldt war der Beruf offenbar genau das Richtige, und so machte er im Anschluss an die Lehre gleich noch eine Meisterausbildung. In Sanssouci eine adäquate Stelle zu finden, erwies sich jedoch als vergebliches Unterfangen: Die interessanten Stellen waren bereits besetzt, die verbliebenen Posten zu langweilig. Ein alter Gärtner gab ihm den Hinweis, dass der Südwestkirchhof Stahnsdorf Fachleute suchte – und tatsächlich empfing man ihn dort mit offenen Armen. „Für mich hat sich hier eine völlig neue Welt eröffnet, das war sehr aufregend“, beschreibt er seine damaligen Eindrücke. Etwas gewöhnungsbedürftig waren aber die neuen Kollegen, denn in der Friedhofs- und Bestattungsbranche begegnet man ganz speziellen Charakteren mit eigenem Humor – vielleicht eine besondere Art, den täglichen Umgang mit der Vergänglichkeit zu bewältigen. Aber schnell gewöhnte er sich daran und fand Gefallen an den vielfältigen und abwechslungsreichen Tätigkeiten, von der Grabpflege bis zum Einspringen als Sargträger (was er noch heute gelegentlich übernimmt).

Der Südwestkirchhof wurde damals von der evangelischen Kirche mit Sitz in ­Berlin-Mitte finanziert, teilweise gab es noch finanzielle Zuschüsse aus dem Westen, beispielsweise zur Beschaffung von zuverlässigen Kettensägen – aber auch die Beschäftigten profitierten davon: „Zu Weihnachten gab es 200 DM pro Gärtner und eine Adventsfeier mit West-Kollegen“, erinnert sich Ihlefeldt. Zu DDR-Zeiten waren 33 Leute auf dem Friedhof beschäftigt (doppelt so viele wie heute, bei bis zu 200 Bestattungen im Jahr), vor dem Zweiten Weltkrieg waren es 150 – bei 3.000 Bestattungen jährlich. Daran erkennt man, welche Bedeutung der Friedhof früher für die deutsche Hauptstadt hatte, und daher ist es auch kein Wunder, dass man dort so viele Gräber von Prominenten findet, die damals in der Berliner Politik- oder Kunstszene Berühmtheit erlangten.

Olaf Ihlefeldt zeigt Fundstücke von historischen Gräbern.

Als Olaf Ihlefeldt das erste Mal den Friedhof betrat, befanden sich jedoch viele dieser Gräber im Dornröschenschlaf („zum Teil in völliger Wildnis“), doch die Besucher, die nach der Wende immer zahlreicher kamen, um nach alten Familiengräbern zu forschen, weckten sein historisches Interesse. Mittlerweile hatte er sich kaum noch als Gärtner betätigt, sondern immer mehr in die Verwaltung eingearbeitet, wo ein Nachfolger für den Verwalterposten gesucht wurde. Eine Verwaltungsausbildung neben dem Beruf vermittelte ihm die nötigen Grundlagen, sodass er ab 1990 kommissarisch, ab 1991 dann regulär den Posten des Friedhofsverwalters übernehmen konnte. Jetzt galt es, wieder etwas von dem freizulegen, was dereinst Deutschlands zweitgrößten Friedhof (mit 206 Hektar der zehntgrößte Friedhof der Welt) ausgezeichnet hatte: dominante Sichtachsen in einer wunderschön gestalteten Parklandschaft. Mit den vorhandenen Ressourcen ist das jedoch bis heute ein teilweise vergebliches Unterfangen: Zu groß sind die gärtnerischen „Baustellen“, um mit den immer knapper werdenden Mitteln eine flächendeckende Pflege aufrechtzuerhalten. So beschränkt man sich auf Sicherheitsaspekte (beispielsweise die Entfernung abgestorbener Bäume), das Freihalten von Sichtachsen und die Freilegung historischer Gräber – der Rest bleibt wegen Personal- und Geldmangels unberührt. Nach Ablauf der Ruhezeit gehen alte Gräber übrigens in den Besitz des Friedhofs über, und weil manche nicht neu belegt werden, sind auf dem Südwestkirchhof besonders viele davon erhalten.

Je mehr Olaf Ihlefeldt auf dem Friedhof entdeckte, desto mehr kam bei ihm der Gedanke auf, den Friedhof nicht nur als Ruhestätte, sondern auch für kulturelle Zwecke zu nutzen. Weshalb sollte man diesen schönen und spannenden Ort nur im Trauerfall aufsuchen, weshalb sollte er nicht ein lebendiger Ort werden? „Etwas unbedarft ging ich schon an die Sache ran“, erinnert er sich. 1991 gab es das erste Orgelkonzert in der Friedhofskapelle (die Pressemitteilungen schrieb Ihlefeldt noch selbst auf der Schreibmaschine), dann wurde es immer mehr, bis im Jahr 2003 die erste Kulturnacht auf einem deutschen Friedhof veranstaltet wurde – und zunächst bei vielen Leuten auf Ablehnung stieß. Man protestierte beim Bischof wegen „Störung der Friedhofsruhe“ und „mangelnder Pietät“.
Doch Bischof Huber verteidigte Ihlefeldts Aktivitäten, und mittlerweile sind nicht nur sämtliche Proteste verstummt, sondern die Veranstaltungen erfreuen sich sogar wachsender Beliebtheit bei hohen Besucherzahlen. Heute sind die Führungen und Kulturveranstaltungen nicht nur fester Bestandteil der Friedhofskultur: Friedhöfe wurden sogar zu Krimidreh-orten, ohne dass sich jemand darüber beschwert hat. Und warum auch nicht – es wurde höchste Zeit, dass Friedhöfe als Teil der kulturellen Identität ins Bewusstsein gerückt wurden.

Bürgermeister Bernd Albers überreicht die Ehrenurkunde an Olaf Ihlefeldt. Foto: Gemeinde Stahnsdorf

Anfangs übernahm Olaf Ihlefeldt alle ­Führungen selbst, mittlerweile engagieren sich dafür auch Mitglieder des vor 25 Jahren gegründeten Fördervereins, deren freiwilliges Engagement bei Veranstaltungen und pflegerischen Arbeitseinsätzen unverzichtbar ist. Ihlefeldt hat seine Führungen thematisch etwas ausgeweitet, um selbst keine Langeweile aufkommen zu lassen, und so entdecken auch die Besucher mit ihm ständig Neues. Allein hingegen ist die Orientierung für Friedhofsneulinge oft recht schwer. Das liegt nicht nur an der Größe des Friedhofs, sondern auch an mangelnden Orientierungshilfen. „Ein Leitsystem war bisher finanziell nicht umsetzbar“, bedauert der Friedhofsverwalter. Eine Unterstützung durch Schülergruppen aus der Region wäre wünschenswert, beispielsweise zur Erfassung von GPS-Daten, um einen genauen Gräberplan (auch zum Download) zu erhalten, aber das ist nicht so einfach: „Mein Kind geht nicht auf den Friedhof!“, muss Ihlefeldt oft hören. Trotzdem verliert er nicht seinen Optimismus, die Motivation zur Erhaltung und Visionen für die Zukunft des Gartendenkmals: Neue Bestattungsformen, eine bessere Erlebbarkeit und vieles mehr stehen auf seiner Agenda. Hoffen wir, dass er noch viel davon umsetzen kann, denn auch die Gemeinden der Region profitieren erheblich vom Südwestkirchhof als Kulturort, Biotop und touristischem Höhepunkt – Grund genug, Ihlefeldt zu unterstützen und sein Wirken zu würdigen.

Fotos: Mario Kacner