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Die Lausitz zu Füßen

Das Besucherbergwerk „F60“ in Lichterfeld-Schacksdorf (Niederlausitz) dokumentiert eindrucksvoll den Wandel in der Lausitz: Alte Tagebaue verschwinden, in der früheren Kraterlandschaft entsteht Neues.

1992. In den Neuen Bundesländern ist die Euphorie nach der Deutschen Einheit schnell verflogen. Viele einst „volkseigene“ Betriebe überleben den schlagartigen Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft nicht. Zugleich ändert sich das Konsumverhalten: Wo einst Kohleöfen die Wohnungen im Arbeiter- und Bauernstaat wärmten, versahen rasch Gas- und Ölheizungen ihren Dienst. Schon bald verdiente die Luft über den Dächern wieder ihren Namen, und schnell waren das Brikettschleppen und die heiße, graubraune Asche Vergangenheit.

Die über 500 Meter lange Förderbrücke „F60“ ist heute ein Museum. Bild: Valentin Moldovan

„Bald brauchte niemand mehr Kohlebriketts aus diesem Tagebau, und so war 1992 Schluss hier in Klettwitz-Nord“, berichtet der Fremdenführer unter rund 11.000 Tonnen Stahl. Wir sind im Besucherbergwerk „F60“, nur wenige Hundert Meter neben Lichterfeld-Schacksdorf und seinen 940 Einwohnern. Wie die gesamte Lausitz war auch der Landkreis Elbe-Elster vom Niedergang des Braunkohleabbaus betroffen – der sich heute vollziehende Strukturwandel war in den Nachwendejahren bestenfalls eine Fiktion.

Dem Abriss entgangen

Die umliegenden Kohlekraftwerke Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg hatten bereits „ihre“ Tagebaue vor der Tür. Mit der einsetzenden Schließung kleinerer Abbauflächen, die bislang die regionalen Brikettfabriken mit dem bis zu 20 Millionen Jahre alten Rohstoff versorgten, wurde noch „brauchbares“ Gerät in die Kraftwerkstagebaue verbracht – der Rest war zur Sprengung vorgesehen. Ohne den persönlichen Einsatz von Bergbau-Enthusiasten aus Lichterfeld-Schacksdorf und die Landschaftsarchitektin Elke Löwe hätte auch die „Förderbrücke 60“ dieses Schicksal ereilt. Seit 2001 verwaltet ein Förderverein das Besucherbergwerk.

Der 502 Meter lange Koloss thront bis heute über dem äußersten Westen der Niederlausitz. Doch  wie kommt er zu seiner „60“ im Namen? „Die Förderbrücke konnte den Abraum, also die Sand- und Geröllschicht über der Kohle, bis zu einer Dicke von 60 Metern abtragen“, klärt der Fremdenführer schnell auf.

Mit dem eigentlichen Kohleabbau hatte der Riese aus Stahl also nichts zu tun: Stattdessen trug er auf der einen Seite des Tagebaulochs die Erde über den Kohleflözen ab und transportierte sie über ein gigantisches Förderband über die „Talsohle“, in der Schaufelradbagger die nun freiliegende Kohle abbauten. Auf der direkt gegenüberliegenden Seite, wo die Kohle bereits abgebaut wurde, fiel der Abraum etwa 75 Meter in die Tiefe und verfüllte das entstandene Tagebauloch teilweise wieder. Dabei bewegte sich die Förderbrücke auf verschiebbaren Gleisen vor und zurück und fräste sich in einer weiteren Bahn durch den märkischen Sand. So „wanderte“ der gesamte Tagebau im Schneckentempo seitwärts.

Am Fuße des Riesen künden heute nur noch Gleisrückmaschine, Werkstattwagen und ein menschenhoher „Eimer“ zum Abfräsen des Abraums vom Tagebau. Über Treppen und Laufwege aus Lochblech geht es auf den „liegenden Eiffelturm“, der von 1989 bis 1991 direkt vor Ort errichtet wurde.

Ein Überblick über die Funktionsweise der Förderbrücke. Bild: https://www.f60.de/de/die-bruecke/wirkprinzip.html

Höhenangst ist keine Option

Förderbrücke und Höhenangst passen nicht zusammen. „55 Meter“, klärt ein Schild auf dem luftigen Rundgang auf. Die Arbeiter, die hier bis 1992 ihren Dienst verrichteten, waren Wind und Wetter ausgesetzt. Dabei liefen sie aber nicht wie die heutigen Besucher über Lochblech, sondern „genossen“ den steilen, noch besseren Blick nach unten durch Gitterroste. Diese fast ungetrübte Sicht nach unten ist heute auf dem rund 1,4 Kilometer langen Rundweg zum Glück Vergangenheit, und bei 60.000 Besuchern jährlich, dank derer das Besucherbergwerk seinen Betrieb vollständig finanzieren kann, gibt es bislang keinerlei Vorkommnisse zu beklagen. Auch Höhenängstliche kommen also wohlbehalten wieder auf der Lausitzer Erde an.

Bei plötzlichem Wetterumschwung haben die Besucher heute mehr Glück als die Arbeiter, die einst den Umschlag des Abraums steuerten. Am höchsten Punkt, an dem täglich 50.000 Tonnen Sand und Geröll vom Förderband in die Tiefe stürzten, befindet sich in 75 Metern Höhe ein Rundumsichthaus. Hier bietet  sich ein Blick in die Ferne bis zum Lausitzer Bergland im Süden. Von hier über die Rauchsäulen am Horizont wandert der Blick weiter zu einer Seenlandschaft aus Menschenhand.

Wasser als Herausforderung

Aus einer Kohlegrube entstand nach dem Ende des Kohleabbaus durch Flutung der Bergheider See. Bild: Redaktion

Durch die Flutung früherer Tagebaue entsteht mit dem Lausitzer Seenland bis Ende der 2020er Jahre  Europas größte künstliche Wasserlandschaft. Das meiste Wasser hierfür liefern Spree und Schwarze Elster, die klimabedingt jedoch selbst mit ihrem Wasserhaushalt kämpfen müssen. Auch das Grundwasser hilft nach, doch auch nach der vollständigen Flutung droht im Sommer durch Verdunstung die Gefahr einer konstanten Wasserknappheit.

Und das Grundwasser hat einen Haken: Bei der Flutung kommt es in Kontakt mit pyrithaltigem Abraum. Pyrit – oder Eisen(II)-disulfid – sorgt für eine Versauerung des Wassers. So hat der Bergheider See direkt zu Füßen der Förderbrücke einen pH-Wert von 3, was Fischen und anderen Organismen das Überleben unmöglich macht. Nach seiner vollständigen Flutung 2014 wird er jedoch schon als Badesee genutzt, und dem Wasser wird wegen seines niedrigen pH-Werts eine Linderung von Hautkrankheiten nachgesagt. Erst eine Kalkung wird diesen Wert später normalisieren.

Der See ist, wie die gesamte Landschaft mit ihrem alles überragenden Besucherbergwerk, eine Momentaufnahme: Das Ensemble zeigt, wie aus zerstörter Natur und nach schweren Umbrüchen für die Menschen in der Region über Jahrzehnte etwas vollkommen Neues entstehen kann – ein Zeugnis für Zerstörung, Aufbruch und Kreativität.

Anreise: Ab Berlin-Lichterfelde Ost verkehren etwa stündlich die Regional-Express-Linien RE 3 und RE 5. Die Fahrt führt mit Umstieg in Doberlug-Kirchhain oder Lutherstadt Wittenberg weiter bis nach Finsterwalde. Weiter geht es am besten mit dem Rad bis ins 10 Kilometer entfernte Lichterfeld-Schacksdorf.

Dieser Beitrag ist erstmals im Lokal-Report erschienen (Ausgabe: September 2022).

Titelbild: Philipp Hochbaum