
Ruhlsdorfer Platz als Fußgängerzone?
Vor einigen Tagen war in der MAZ (Märkische Allgemeine) zu lesen, dass im nächsten Jahr der Ruhlsdorfer Platz probeweise in eine Fußgängerzone verwandelt werden soll, der verkehrsreichste Ort in Teltow. Kaffee und Kuchen dort, wo sonst Trubel herrscht – kann das gutgehen, und wohin könnte der Verkehr überhaupt ausweichen?
Es dürfte wohl viele Leute aus unserer Region geben, die mit der Gestaltung des Ruhlsdorfer Platzes unzufrieden sind. Die Randbebauung ist uneinheitlich, nüchtern und lückenhaft, für Radfahrer ist der Platz gefährlich, für Fußgänger unübersichtlich und sehr laut – und vor allen Dingen fehlen Charme und Aufenthaltsqualität. Man fährt oder läuft vorbei und denkt: Nur schnell nach Hause! Nichts am Ruhlsdorfer Platz lässt erahnen, dass sich ganz in der Nähe eine sehenswerte Altstadt befindet, und als zentraler Ort dient er schon lange nicht mehr, zumal man ein Ensemble attraktiver Läden vergeblich sucht. Das war früher anders, wie dieses Bild aus den dreißiger Jahren erzählt:
„Der Ruhlsdorfer Platz (damals „Hindenburg-Platz“) hatte in den dreißiger Jahren nicht nur den Charakter eines Verkehrszentrums, sondern auch den eines Einkaufszentrums. Auf der unbebauten Fläche zwischen Ruhlsdorfer Platz und Mahlower Straße (man erkennt im Bild den äußersten Zipfel) wurde Wochenmarkt abgehalten. Im Hause Ruhlsdorfer Platz 1, dessen Dachgeschoss seit dem Zweiten Weltkrieg fehlt, befand sich das erwähnte Zigarrengeschäft und ein Friseur, links daneben in dem kleinen Haus war die Bäckerei Hartmann. Da, wo heute ein Reisebüro ist, gab es ein Kurzwarengeschäft und dahinter in Richtung Seehof eine Gaststätte. Links im Bild sieht man (hinter dem Omnibus) das Gasthaus zum Weißen Schwan. … In der Berliner Straße waren dann: Butter Beck (ein Lebensmittelgeschäft), das Textilkaufhaus Lindemann, (das Zigarrengeschäft) Palm und Lill (Fahrräder), die Drogerie Kümmel, der Fleischer Gnädig und viele weitere Geschäfte. Das Lokal Weißer Schwan wurde, wie auch die links anstoßenden Gebäude (Butter Beck, Lindemann und diesem gegenüber das Cafe Teltower Rübchen) im Zweiten Weltkrieg total zerstört. Nur die beiden kleinen alten Häuschen am Anfang der Lichterfelder Allee sind übriggeblieben. Dahinter, in Richtung Seehof, waren noch eine weitere Bäckerei und eine Autowerkstatt mit einer kleinen Tankstelle (der einzigen in Teltow). Für die Fahrgäste gab es ein Wartehäuschen mit Toiletten (auch für Buspersonal und Markthändler).
1945 war jeglicher öffentliche Personenverkehr in Teltow zusammengebrochen. Die Straßenbahn fuhr noch bis etwa 20. April 1945, die beiden letzten in Teltow befindlichen Straßenbahnwagen wurden auf dem Ruhlsdorfer Platz zusammengeschossen. Nach der Reparatur der teilweise beschädigten Gleise und der Wiederinstallation der Fahrleitung wurde der Straßenbahnverkehr im Februar 1946 wieder aufgenommen, zunächst durchgehend bis Tempelhof … später dann als Teilstrecke zwischen Seehof, Paul-Gerhardt-Straße und Machnower Schleuse mit Übergangsmöglichkeit von Seehof nach Lichterfelde Süd, Schwelmer Straße, wo die »West 96« einsetzte. Am 31. Oktober 1961 kam der Straßenbahnverkehr als Folge der Grenzschließung endgültig zum Erliegen; von da an übernahmen Omnibusse den Betrieb.“
Man sieht also: Der Ruhlsdorfer Platz war von vornherein als Verkehrsknotenpunkt geplant worden, und diese Funktion erfüllt er bis heute – bis auf den Unterschied, dass es früher wegen der Haltestellen (auf den Mittelinseln) und den angrenzenden Geschäften mehr Fußgängerverkehr gab. Abgesehen von dem kriegsbedingten Kahlschlag hatte in der DDR vor allen Dingen die Schaffung von Wohnraum für die zahlreichen Beschäftigten der Teltower Industriebetriebe Vorrang. Plattenbauten wurden ohne städtebauliches Gesamtkonzept und ohne ästhetische Anforderungen scheinbar wahllos errichtet, und mit diesem Erbe hat Teltow bis heute zu kämpfen. Dazu kommt, dass sich nach der Wende die Bevölkerungszahl beinahe verdreifachte, so dass weiterhin nur dazugebaut wurde, statt planvoll vorzugehen. Die Plattenbauten wurden lediglich modernisiert, so dass sie die bestehenden Altbauten weiterhin dominieren und dem Platz einen nüchternen Charakter bescheren: übrig blieb eine Verkehrswüste.
Gebäude abreißen oder versetzen geht natürlich nicht, also diskutiert man in Teltow schon seit vielen Jahren darüber, wie man den Platz attraktiver gestalten könnte – der Plan, ihn in eine Fußgängerzone zu verwandeln, ist aber offenbar neu. Bisher hatte man lediglich versucht, das immer stärker werdende Verkehrsaufkommen über Umgehungsstraßen abzuleiten, was im Berufsverkehr jedoch mittlerweile an Grenzen stößt. Die Kreisverkehre und die Knesebeckbrücke sind nicht nur regelmäßig durch Staus verstopft, sondern stellen mittlerweile auch gefährliche Unfallschwerpunkte dar. Selbst eine temporäre Sperrung, wie der bisherige Bürgermeister Thomas Schmidt und die SPD sie für möglich halten, dürfte zu erheblichem Chaos führen. Bevor ein neuer Bebauungsplan endgültig zukünftige Nutzungen festlegt, will die SPD-Fraktion im nächsten Sommer die Durchfahrten mit Blumenkübeln versperren und statt Autos gastronomischen Angeboten Platz einräumen – falls Polizei und die Brandenburger Straßenbehörde zustimmen.
Was die Teltower und alle Bewohner der Region, die diesen Platz regelmäßig befahren, dazu sagen, ist noch unklar. Fest steht, dass der Verkehr bei so einem Großversuch nur vertrieben, nicht verringert wird und dass nicht auf einmal schöne Gebäude mit interessanten Läden aus dem Boden schießen. Ob der Ruhlsdorfer Platz dabei so attraktiv wird, dass eine echte Aufenthaltsqualität entsteht, sei dahingestellt, schließlich haben die meisten Leute an Wochentagen (dann nämlich soll der Versuch stattfinden) eh anderes zu tun. Und nicht zuletzt denkt man an die Berliner Friedrichstraße, bei der ein ähnlicher Versuch gründlich schiefgegangen ist.
Fotos: Archiv Stadt-Blatt Verlag/ Heimatverein Teltow, Museum Digital Brandenburg