Ein Tag im Pflegeheim
Es ist ein stürmischer Morgen, der Regen hängt noch in der Luft und die Straßen sind leer und dunkel, als mich Fadi um 5:55 Uhr in ein Dienstzimmer des Kleinmachnower „SenVital Senioren- und Pflegezentrums“ führt. An einer Tafel über dem Computer hängt der Wochenplan: Welche Kollegen sind für welche Schicht eingeteilt? Welche Bewohner werden wann geduscht? Bei wem erfolgt ein Verbandswechsel oder eine Wundkontrolle? Seit zweieinhalb Jahren arbeitet der Syrer als Pflegehelfer im Altenheim. Während der Nachtschicht kontrolliert er dreimal die Zimmer der Bewohner. Manche können nicht schlafen, manche brauchen Hilfe beim Toilettengang. „Ich lass mich gern überraschen“, sagt Fadi und lächelt verschmitzt.
Kurz nach sechs erfolgt die Übergabe an die Kollegen der Tagschicht. Ein Bewohner ist in der Nacht gestürzt und muss zur Kontrolle ins Krankenhaus, ein anderer kommt von dort zurück, eine neue Bewohnerin zieht ein. Bei einer anderen wurde die Medikation geändert, eine weitere hat plötzlich akute Schmerzen. Und der linke Hausschuh von Herrn B. wurde nach langem Suchen im Schmutzwäschesack gefunden. Dann ist die Schicht für Fadi beendet und ich werde Marta zugeteilt.
Vielfältige Bedürfnisse erfüllen
Die junge Pflegehelferin aus Kroatien führt mich in einen Wohnbereich mit Langzeitpflegeplätzen. Jeder Bewohner hat hier sein eigenes Zimmer mit Bad. Mit Marta laufe ich jedes einzelne ab. Wecken der Bewohner, Helfen beim Anziehen und der Morgentoilette. Betten aufschütteln, Kleidung herauslegen, aufräumen. Ob Frau W. Hilfe beim Kämmen bräuchte, fragt Marta freundlich. „Dann können Sie mir auch gleich die Karre holen, die mich ins Leichenhaus bringt“, lautet die flapsige Antwort und beide lachen. Ein fröhliches Lachen, von dem sich Marta jedoch nicht ablenken lässt. Um den Überblick zu behalten, muss sie ihre Arbeit gut koordinieren. Wenn ein Bewohner noch schläft, kommt sie später wieder. Sich zu merken, hinter welcher Tür sie wie helfen muss, was sie heute schon erledigt hat und was noch ansteht, ist für sie kein Problem.
Um acht Uhr gibt es Frühstück. Kaffee aufsetzen, Obst schneiden, Brote schmieren. Marta unterstützt die von einer Pflegefachkraft beaufsichtigte Medikamenteneinnahme, begleitet beim Essen, wäscht das Geschirr. Das Rufen ihres Namens, verbunden mit der Erwartung, dass sie auf der Stelle alles andere stehen und liegen lässt, hört sie gefühlt einhundertmal am Tag. Die Augenhöhe im Umgang mit den Bewohnern verliert Marta dabei nie. Das finde ich bewundernswert. „Ich habe eine gute Beziehung zu den Bewohnern“, sagt sie gelassen. „Für Pflege braucht es eben Zeit und Kraft.“
Füreinander mit Verstand und Herz
Ob sich Marta bei ihrer Arbeit Gedanken über das eigene Älterwerden mache? „Ich möchte alt werden“, überlegt sie. Daran habe sich nichts verändert. „Aber manche Schicksale sind schon traurig.“ Wie das von Herrn H., bei dem multiresistente Keime diagnostiziert wurden. Um die anderen Bewohner und das Pflegepersonal vor einer Ansteckung zu schützen, darf er sein Zimmer nur mit besonderer Schutzbekleidung verlassen, selbst bei einem kurzen Spaziergang im Hof. Frau B. nebenan ist bettlägerig, nicht mehr ansprechbar und wird über eine künstliche Sonde ernährt. Die Zuwendung durch die Pflegekräfte wird aber auch ihr in vollem Maße zuteil.
Während draußen vor den Fenstern das geschäftige Treiben rund um den Rathausmarkt erwacht, wird Marta von Frau W. herzlich gedrückt. Ohnehin bin ich überrascht, wie oft Marta von den Bewohnern in den Arm genommen wird. Zur Begrüßung, aus Dankbarkeit, aber auch zum Trost. „Wer nicht mit dem Herzen dabei ist, sollte den Job nicht machen.“ Zwar komme es auch vor, dass „wir Dinge mit nach Hause nehmen. Dann tut es gut, mit Kollegen oder Freunden darüber zu sprechen“, sagt Marta.
Sterben ist keine Selbstverständlichkeit!
Mit dem Umzug in ein Altenpflegeheim beginnt eine neue, für die meisten auch die letzte Lebensphase. Ein offener Umgang mit dem Tod gehört deshalb zur Philosophie im Hause SenVital. „Der Tod wird in unserer Gesellschaft immer noch tabuisiert“, beobachtet Residenzberater Robert Richter. Ein typisch deutsches Phänomen, in anderen Kulturen sei das tatsächlich anders, der Tod viel präsenter, sagt er. Viele Angehörigen, die zu ihm kommen, setzten sich zu spät mit dem Thema „Älterwerden und Sterben“ auseinander. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht – davon wollen viele Familien vorab nichts hören. Große Hürden könnten indes leichter genommen werden, wenn man sich im Vorfeld gut informiere. „Abschiednehmen ist immer schwer“, sagt Richter. Er hält es für sinnvoll, sich rechtzeitig auf das vorzubereiten, womit jeder Einzelne von uns am Ende des Lebens unweigerlich konfrontiert werden wird. Damit sichere man sich auch ein Mitsprachrecht, erklärt er. „Wenn Sie zusammen mit ihrer Familie festlegen, wie etwas konkret ablaufen soll, wird es für Ihre Angehörigen sehr viel leichter, bis ganz zum Schluss in Ihrem Sinne zu handeln.“ Madlen Pilz