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„Es ist an der Zeit, den Spieß umzudrehen“ – Dr. Sebastian Wieczorek erläutert das Potenzial der Künstlichen Intelligenz

Dr. Sebastian Wieczorek ist Gründer und Geschäftsführer des Teltower innovativen Unternehmens Mantix mit Fokus auf Generative Künstliche Intelligenz und webbasierte Softwarelösungen. Als promovierter Informatiker und anerkannter KI-Experte (u. a. Mitglied der KI-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags) verbindet Dr. Wieczorek technologische Exzellenz mit unternehmerischem Weitblick und einer klaren Vision: Generative KI für Unternehmen einfach, sicher und praxisnah nutzbar zu machen.

Vor seiner Gründung leitete Dr. Wieczorek als Vice President AI Technology bei SAP internationale Entwicklungsorganisationen und war verantwortlich für den Aufbau und die Markteinführung der konzernweiten Daten- und KI-Plattform. Zudem initiierte und leitete er das globale KI-Ethik-Programm, mit dem er unternehmensweite Richtlinien für faire, transparente und vertrauenswürdige KI etablierte und deren Umsetzung weltweit verantwortete.

Teltower Stadtblatt Verlag: Sie waren viele Jahre lang als Vice President bei dem weltweit agierenden Softwarekonzern SAP tätig, dem wertvollsten Unternehmen im DAX. Dort leiteten Sie die Abteilung für KI-Plattform-Technologien. Nun haben Sie Ihre eigene Firma Mantix in Teltow gegründet. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Dr. Sebastian Wieczorek: Die Gründung von Mantix war keine spontane Entscheidung, sondern das Ergebnis eines mehrjährigen Prozesses. Ich habe an vielen Orten der Welt gearbeitet, und das Team, das ich geleitet habe, war von Israel über die USA bis Singapur und Bangalore verteilt. In Teltow ist alles ein wenig familiärer und auch spontaner. Viele der Menschen und Unternehmen, mit denen ich bei der Gründung zusammengearbeitet habe, lernte ich zufällig auf Empfängen in der Region, auf dem Kinderspielplatz oder sogar im Supermarkt kennen. Als Teltower kenne ich das wirtschaftliche Potenzial und die Vorteile, die diese Region für Neugründungen bietet, zudem sehr gut. Teltow hat durch seine gute Infrastruktur einen hervorragenden Zugang zu Berlin und Brandenburg und somit zu qualifizierten Arbeitskräften. Außerdem gibt es in der Region sehr viele Partner für unser Produkt. Der Firmensitz in Teltow soll ein Ort der Begegnung und des Austauschs sein, auch wenn sicherlich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten werden. Nicht zuletzt habe ich durch die Technologie- und Gründerzentrum Potsdam-Mittelmark GmbH (TGZ PM) eine wertvolle Starthilfe erhalten. Die TGZ PM wurde auch eine der ersten Kunden für unser Produkt und hat sich sofort bereiterklärt, als Testimonial zu fungieren. Dafür danke ich ihnen sehr!

Für wen ist Ihr Produkt bestimmt?

Webseiten müssen heute nicht mehr statisch sein. Unser Ziel ist es, kleinen und mittelständischen Unternehmen den Einstieg in die Welt der KI zu ermöglichen. Die Unternehmer, die sich für unser Produkt entscheiden, benötigen keine technischen Kenntnisse, da selbst IT-Fachfremde problemlos damit umgehen können. Der Mantix-Chatbot wird in die Webseite des Kunden integriert und beantwortet Fragen per Sprache oder Chat. Er ist ein agiles System, das die Wünsche der Nutzer versteht und entsprechend reagieren kann. Dies kann das Beantworten einer Frage oder die Interaktion mit einem IT-System im Hintergrund sein. Es geht darum, eine menschliche Interaktion zwischen Kunden und Unternehmen bzw. Behörden herzustellen.

v.l. Nico Danneberg (stellvertretender Vorsitzender im Digitalisierungsrat der Landeshauptstadt Potsdam), Dr. Sebastian Wieczorek (Gründer von Mantix) und Georg Geveke (Geschäftsführung, TGZ PM GmbH).

Was sind die Vorteile?

Der KI-gestützte Chatbot kann Fragen in allen Sprachen der Welt beantworten. Er passt sich den Menschen, die ihn befragen, an, indem er nicht nur geschriebenen Text, etwa hochgeladene Dokumente, sondern auch gesprochenen Text und Bilder versteht. Ein Beispiel: Wenn ich meinen Hund in Teltow anmelden möchte, muss ich zunächst mühselig herausfinden, welche Unterlagen ich dafür benötige und welche Behördenstelle dafür zuständig ist. Dafür muss ich mich auf einer möglicherweise nicht kundenfreundlich gestalteten Homepage zurechtfinden. Vielleicht bin ich auch der deutschen Sprache nicht mächtig oder verstehe die Fachausdrücke und das Beamtenlatein einfach nicht. In diesem Fall dreht die KI den Spieß um: Nicht mehr der Mensch muss sich an die Organisation und ihr System anpassen, sondern das System und die Organisation richten sich nach den Menschen und ihren Wünschen. Ein entscheidender Vorteil unseres KI-basierten Produkts ist, dass es im Gegensatz zu Menschen nie einen schlechten Tag hat, stets höflich und hilfsbereit ist und niemals rassistisch, sexistisch oder auf irgendeine andere Weise beleidigend sein kann. Wir alle kennen das Gefühl, dass man sich manchmal nicht traut, eine Frage zu stellen – vielleicht, weil man nicht als dumm oder uninformiert wahrgenommen werden will. Mit dem KI-Chatbot muss man sich darüber keine Sorgen machen. Der Chatbot ist nicht wertend, sondern nur hilfsbereit.

Wie aufwendig ist es für ein kleines oder mittelständisches Unternehmen, dieses System zu installieren?

Der gesamte Installationsprozess unserer Business-KI auf der Homepage des Kunden dauert nur etwa 15 Minuten. Und das ganz ohne komplexe Setups, technische Hürden oder langwierige Konfigurationen. Innerhalb weniger Minuten ist die Webseite KI-fähig. Anschließend beginnt ein Beobachtungs- und Lernprozess, in dem zu sehen ist, wie die Kunden auf den Chatbot reagieren. Anhand dieser Erfahrungen kann das Produkt dann erweitert und verfeinert werden. Die Kunden können sich somit auf die Ergebnisse konzentrieren, anstatt sich mit der Technik dahinter beschäftigen zu müssen.

Ab welcher Größe lohnt sich eine solche Investition für ein Unter nehmen, das den technologischen Anschluss nicht verpassen will, sich aber auch nicht mit der Investition in KI ruinieren möchte?

Unser Produkt ist so günstig, dass es sich jeder Webseitenbetreiber leisten kann. Das Einstiegsmodell ist ein klassischer Chatbot. Dieser kann je nach Bedarf weiterentwickelt werden. Anhand der Suchmuster der Produkte können die Kunden viel genauer definiert und direkt angesprochen werden. Durch die Auswertung der Fragen an den Chatbot verstehen wir, was an der Webseite und am Angebot geändert werden muss. Gesprochene Interaktionen sind viel aussagekräftiger als das sogenannte Clickverfahren. Wichtig ist zu wissen, wonach der Kunde sucht, nicht wo er langläuft. Außerdem fördert das Land Brandenburg die Digitalisierung von Unternehmen mit verschiedenen Programmen, insbesondere mit dem „Brandenburgischen Innovationsgutschein Digital“ (BIG-Digital). Dieser Gutschein unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Umsetzung von Digitalisierungsprojekten durch Beratung, Implementierung und Schulung.

Am 8. Mai hat der Informatiker Dr. Sebastian Wieczorek sein Unternehmen für KI-Technologie in Teltow angemeldet.

Aus welchen Bereichen stammen Ihre Kunden?

Aus den unterschiedlichsten Bereichen und das zeigt, wie weit KI bereits in unseren Alltag vorgedrungen ist. Einer unserer Kunden ist ein großer Anbieter elektronischer Produkte. Er hat Tausende Artikel auf seiner Webseite im Angebot. Nehmen wir an, ich als Bauherr möchte, dass alle Lichtschalter, Steckdosen, Stecker und Lampeneinfassungen in meinem Haus blau sind. Über die klassische Suchfunktion der Homepage ist die Suche nach diesen spezifischen Produkten sehr langwierig. Unser System ist hingegen agentbasiert ausgerichtet, d. h., es nimmt seine Umgebung wahr, verarbeitet Informationen und ergreift Maßnahmen, um festgelegte Ziele zu erreichen. Dadurch kann es sofort den gesamten Produktkatalog durchsuchen und auf Anfrage alle blauen Produkte anzeigen. Außerdem „denkt” unser System mit und erinnert uns in diesem Beispiel vielleicht daran, dass wir doch lieber einen Schuko-Stecker als einen Eurostecker nehmen sollten.

Als KI-Experte beraten Sie den Bundestag und die EU-Kommission. Zudem sind Sie Mitglied des AI Ethics Steering Committee. Muss sich der Mensch vor der KI fürchten?

Aus technischer Sicht ist es nicht sinnvoll, die KI am Menschen zu messen. Unsere Aufgaben werden immer komplexer. Dafür ist es richtig, Systeme zu erschaffen, die diese Aufgaben besser ausführen als wir. Es gibt viele Bereiche, in denen Maschinen besser sind als wir, beispielsweise beim Schachspielen oder beim Bearbeiten von Bildern. Macht das den Schachautomaten zu einem intelligenten Wesen? Nein. Ich glaube, dass es eine allumfassende KI niemals geben wird. Aus technischer Sicht halte ich es jedoch für möglich, dass eine KI eines Tages Fähigkeiten wie Kurzzeit- oder Langzeitgedächtnis, Intuition oder Multimodalität beherrscht. Als Menschen sollten wir verstehen, dass der Fortschritt immer weitergeht und dass es Systeme geben wird, die uns in fast allem, was wir können, überlegen sind. Die große Frage, über die wir uns Gedanken machen müssen, ist, ob wir als Gesellschaft bereit sind, mit dem technologischen Fortschritt umzugehen. Die Zukunft muss keine Dystopie sein. Es ist großartig, dass wir unser Leben mit Wissenschaft und Technologie einfacher gestalten können, indem wir die uns zur Verfügung stehenden Mittel besser und gerechter nutzen. Denn wir sind als Menschen nicht für alles optimiert. Evolutionär betrachtet sind wir der bestmögliche Kompromiss, um Aufgaben, die uns gestellt werden, zu lösen. Wenn wir aber Systeme für bestimmte Aufgaben bauen, ist menschlich zu sein wirklich die beste Form, um Aufgaben zu lösen? Ein Staubsaugerroboter sieht nicht aus wie ein Mensch, er kann aber effektiver Staub aufsaugen. Wenn wir dieses Beispiel auf Webseiten extrapolieren, ist es sinnvoll, Webseiteninhalte weiter als Webseiten für Menschen darzustellen, oder ist es nicht doch viel effektiver, Informationen und Konten über Chatsysteme zu konsumieren und die Inhalte so darzustellen, dass sie für IT-Systeme gut verständlich sind?

Fotos: Redaktion / Pixabay.com