KulturStahnsdorf

Gustav Langenscheidt: Selfpublisher, Sprachlehrer, Verlagsgründer

Wenn wir heutzutage ins Ausland reisen, helfen uns Übersetzungs-Apps bei der Bestellung im Restaurant oder bei Fragen nach dem richtigen Weg. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts konnte man auf keines dieser Hilfsmittel zurückgreifen. Ein junger deutscher Kaufmann wollte das ändern, um Sprachbarrieren zu überwinden: So ermöglichte er mit seinen Sprachlehrbriefen und Wörterbüchern die Verständigung über Grenzen hinweg.

Wir schreiben das Jahr 1832. Im Oktober wird in Berlin der Sohn des Dekorateurs Johann Ludwig Langenscheidt und dessen Ehefrau Sophie Caroline Schwartze geboren. Gustav – so heißt das Kind – beendet 1850 die Schulzeit mit der Reifeprüfung und absolviert   anschließend eine kaufmännische Ausbildung, die er bereits nach zwei Jahren abschließt. Anschließend begibt er sich auf Reisen, die ihn ins europäische Ausland führen. Zwischen 1851 und 1853 bereist er praktisch alle deutschen Nachbarländer zu Fuß und mit der Postkutsche, dabei legt er insgesamt mehr als 7.000 Kilometer zurück. Nur wenige Leute kamen damals so weit herum, wobei über die Finanzierung der Reise nichts bekannt ist. Im europäischen Bürgertum war es auch nicht üblich, Fremdsprachen zu beherrschen. Im Gymnasium lernte man nur Latein und Altgriechisch, Französisch war dem Adel vorbehalten, und Englisch konnten nur die Sprösslinge reicher Eltern im britischen Internat erlernen. Langenscheidt jedenfalls kommt nach England, ohne ein einziges Wort zu verstehen und ärgert sich sehr über sein Unvermögen: „Es ist ein wahrhaft peinliches Gefühl, unter Menschen nicht Mensch sein und seine Gedanken austauschen zu können.“

Mit Französisch fängt alles an

Nach seiner Rückkehr tritt Langenscheidt in den Militärdienst ein und wird Berufssoldat. Währenddessen wächst in ihm der Wunsch, die französische Sprache zu erlernen. Möglicherweise sympathisiert er mit den Idealen der Französischen Revolution von 1848 oder zumindest mit liberalem Gedankengut, das sich damals über Europa verbreitet. Er besorgt sich – was damals ohne Internet schwierig war – Informationen über Sprachlernmethoden, zum Beispiel Empfehlungen zum Selbstlernen. Dabei stößt er auf die Methoden von Jean Joseph Jacotot und James Hamilton, die er weiterentwickelt, weil sie ihm besonders sympathisch sind: Kaum Grammatik, mehr Lektüre, Imitation und Kommunikation, also ein praktischer und intuitiver Zugang. Gleich nach Beendigung des Militärdienstes nimmt er Kontakt zu dem Berliner Französischlehrer Charles Toussaint (1813–1877) auf, mit dem er eine eigene Sprachlernmethodik entwickelt. 1856 – nach vierjähriger Arbeit – sind sie fertig, aber kein Verleger findet sich, der das Werk herausgeben will. Da gründet Gustav Langenscheidt kurzerhand sein eigenes Start-up: Mit der „Expedition der Unterrichtswerke nach der Methode Toussaint-Langenscheidt“ startet er sein eigenes Unternehmen und bringt im Selbstverlag (heutzutage: „Selfpublishing“) Unterrichtseinheiten für Französisch im Direktvertrieb heraus. Zwei Jahre später wird daraus „G. Langenscheidts Verlagsbuchhandlung“, doch erst 1926 wird daraus eine GmbH.

Gustav Langenscheidt setzte Standards beim Sprachenlernen.

Die Unterrichtseinheiten – bald auch in weiteren Sprachen – verschickt Langenscheidt in Form von Selbstlernbriefen. Die Idee des brieflichen Sprachenunterrichts verdankt er eigentlich dem Engländer William Cobbett, nur ist es eben Langenscheidt, der das systematisch und in großem Maßstab umsetzt. Geschickt platziert er Werbung in den zahlreichen Tageszeitungen und lässt Werbezettel verteilen. Ein erschwingliches Abonnement ermöglicht es zum ersten Mal breiten Schichten der Bevölkerung, sich eine Fremdsprache anzueignen – die nötige Disziplin und eine große Portion Fleiß vorausgesetzt. Der Verlag begründet die Notwendigkeit, sprachliche Fähigkeiten zu erwerben, später so: „Der Kampf ums Dasein, der heute härter ist als je zuvor, fordert in allen Stellungen und Berufen von uns umfassende Sprachkenntnisse. Das grammatikalische Wissen, das viele von der Schule mitbringen, kann im praktischen Leben wenig nützen. Hier wird ein sicheres Können und die Fähigkeit, die fremde Sprache richtig und gut anzuwenden, verlangt. Zu dieser Vollkommenheit führen aber weder das Studium einer Grammatik, noch Stunden bei einem Privatlehrer. Auch der Aufenthalt im fremden Land hat ohne gründliche Vorkenntnisse fast nie den gewünschten Erfolg. So bleibt nur noch der Selbstunterricht, und auch dieser ist zwecklos, wenn er nicht nach einem guten, praktischen System betrieben wird. Ein solches fehlte, bis Professor Gustav Langenscheidt zusammen mit Professor Charles Toussaint die Unterrichtsbriefe nach der Methode Toussaint-Langenscheidt herausgab, eine Erfindung von ähnlich kultureller Bedeutung wie die der Dampfmaschine oder der Elektrizität.“

Lautschrift, Wörterbücher und ein bekanntes Logo bringen den Erfolg

Selbstlernbriefe schön und gut: Mit der richtigen Aussprache hapert es, wenn man die Sprache nicht hört. Also bringt Langenscheidt ein Wörterbuch (zunächst nur für Französisch) mit eigener Lautschrift heraus, die sich bald international durchsetzt. Seine Nachschlagwerke werden zum Renner und gleichzeitig zum Synonym für Wörterbücher allgemein. Genauso wie der etwa gleichaltrige Konrad Duden mit seinem Wörterbuch der deutschen Sprache ein grundsätzlich maßgebendes und immer wieder aktualisiertes Nachschlagwerk schuf, steht Langenscheidts Name auch heute noch für zuverlässige Kompendien in vielen Fremdsprachen.

Zum großen Bekanntheitsgrad trug auch die frühe Etablierung eines Markenzeichens bei: „Ohne Fleiß kein Preis“ stand zunächst im Firmenlogo, zusätzlich auch ein „L“, das auch heute noch auf jedem Buch prangt. Geschicktes Marketing durch ein einprägsames Logo, in der Folge eisern gegen jegliche Nachahmer verteidigt.

Langenscheidt schrieb übrigens selbst auch ein Buch mit dem Titel „Naturgeschichte des Berliners“, das sich streckenweise wie eine aktuelle Schilderung liest. Er beobachtete eine Neigung zum „Aufmucken“, wie es der Berliner selbst nennt: „Wo ein anderer sich einen geringen Widerspruch, einen nicht der Äußerung werten Tadel nur denkt und ihn herunterschluckt, da platzt der Berliner schon damit heraus, oft in recht verletzender Weise. ‚Nischt jefallen lassen‘ ist seine Parole.“ Und: „Keine andere Stadt hat eine Bevölkerung mit einem so gemischten Ursprung, weil Berlin einmal die Zuflucht jedes irgendwo verfolgten Protestanten war. Deshalb sind Berliner eigentlich als ein deutsch sprechendes internationales Neutrum zu betrachten.“

1869 begann der Langenscheidt Verlag mit den Arbeiten an einem enzyklopädischen Wörterbuch der englischen Sprache. Die Kosten lagen mit 600.000 Goldmark weit über der ursprünglich veranschlagten Summe. Verlagsgründer Gustav Langenscheidt erlebte die Fertigstellung des großen Wörterbuchs aber nicht mehr. Kurz vor seinem Tod am 11. November 1895 hatte er die Geschäfte an seinen Sohn Carl Langenscheidt (1870–1952) übergeben. Dieser führte den Verlag weiter und erbaute eine imposante Villa am Großen Wannsee (neben der Liebermann-Villa), die sein Urenkel – der Verleger, Autor, Redner und Philanthrop Florian Langenscheidt – heute noch bewohnt. Die Familie Langenscheidt verkaufte ihre Anteile am Verlag im Jahr 2013.

Das Grab des Sprachlehrers und Begründers des Sprach- und Wörterbuchverlages Gustav Langenscheidt wurde im Zuge der Pläne für die „Reichshauptstadt Germania“ 1939 vom alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin auf den Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet. Das Mausoleum wurde komplett vermessen, abgebaut, per Bahn nach Stahnsdorf transportiert und dort wiedererrichtet. Es befindet sich in der Alten Umbettung. KP

Dieser Beitrag ist erstmalig im Lokal-Report 02/2023 in der Reihe „Prominente auf dem Südwestkirchhof“ erschienen.

Titelbild: Mario Kacner