Teltow

Kräuterwanderung rund um den Teltowkanal

Neugierig blicken die Kinder auf die blaue Plastikschüssel, die zu ihren Füßen auf dem Sandboden steht. Die Alufolie knistert geheimnisvoll, als sie versuchen, durch die Abdeckung hineinzuspähen. „Was ist da drin?“, fragen sie Afra, als diese mit vollen Händen aus dem Gebüsch kommt. Langsam öffnet sie die Handflächen: Dicke Brombeeren liegen auf ihrer Handfläche, prall und saftig und von einer glänzenden, schwarzen Haut umspannt. „Die kommen in den Teig“, verkündet Afra mit fröhlicher Stimme, „am See backen wir Eierkuchen.“

Keine normale Wanderung

Nach diesem Start ahne ich, dass es sich bei der Wanderung keinesfalls um ein normales Familienpicknick handelt. Seit April dieses Jahres führt die Natur- und Umweltpädagogin Afra Riemer von der Landstreicherei Potsdam zusammen mit dem Teltower Familienzentrum Philantow interkulturelle Naturstreifzüge für Familien rund um den Teltowkanal durch. „Das Projekt richtet sich an Flüchtlingsfamilien sowie Familien aus der Region, die gemeinsam in der Natur Zeit verbringen wollen“, erklärt Nadine Ganzert, Leiterin des Philantow. „Denn Naturerfahrungen können ein Weg sein, geflüchteten Menschen eine Möglichkeit der Neuverwurzelung zu geben.“

Vom Strauch in den Bauch

Auf den Streifzügen lernen die Menschen den Boden, auf dem sie stehen, auf sinnlich-spielerische Art neu kennen. Im Mittelpunkt steht dabei das gemeinsame Erleben und Erfahren. Afra kocht auf einem Campingkocher Wiesentee aus selbst gesammelten Kräutern vom Wegesrand, stellt Kräuteröl oder -butter her, Holunderblütensirup oder Hagebuttenmarmelade.

„Die Natur um uns herum ist eine vielseitige Ressource, die es zu bewahren und zu schützen gilt“, sagt Afra. Ihr umfangreiches Wissen gibt die gelernte Krankenschwester und Landschaftsplanerin seit über zehn Jahren so in verschiedenen Projekten weiter.

 

Denn hätten Sie‘s gewusst? Vogelbeeren, die orangefarbenen Früchte der Eberesche, können tatsächlich für den menschlichen Verzehr zubereitet werden – allerdings erst nach dem ersten Frost, also frühestens Ende November. Verfeinert mit Zimt, Honig und Kardamom sind die Beeren reich an Bitterstoffen, welche Leber und Galle bei der Entgiftung unterstützen

Gemeinsames Essen verbindet

Über die ehemalige Badewitzbrücke erreichen wir den Machnower See. Eine tolle Gelegenheit für die Kinder, im Wasser zu planschen. Violette, brombeersaftverschmierte Gesichter und Hände werden so schnell wieder sauber. Denn längst nicht alle Wildbeeren haben es in Afras Teig geschafft, den sie mit Vanille, Zimt und gemahlenem Kardamom verfeinert hat. Viele wandern direkt von der Hand in den Mund. Beim Anblick der knusprigen Eierkuchen, die goldbraun in der kleinen Pfanne über dem Campingkocher brutzeln, läuft auch mir das Wasser im Mund zusammen. Um mich herum tragen die Familien ein buntes Picknick zusammen: Dinkelwaffeln, Honigmelone, Sesamstangen, mit Marmelade oder Schnittfleisch gefüllte Blätterteigtaschen, je nachdem, was für kulinarische Rezepturen die Familien aus ihrem Herkunftsland mitbringen. Es wird gemeinsam gegessen und viel gelacht – eine Sprache, die alle verstehen. Verständigungsprobleme gibt es auf diesen Streifzügen nicht. Und endlich darf ich die Eierkuchen probieren. Die sommerliche Frische der Brombeeren mischt sich mit der dezenten Süße des herzhaften Teigs: Besser kann Natur wohl kaum schmecken!

Rezeptfrei und ohne Chemie

Doch selbst als alle satt sind, kommt Afras Campingkocher nicht zur Ruhe. Sie zerkleinert mit einem hölzernen Taschenmesser die Blätter des gesammelten Spitzwegerichs und braut in einem kleinen Metalltiegel über lodernder Flamme einen Mückenbalsam zusammen. Ein Bild, das mich an den Zaubertränkeunterricht aus den Harry-Potter-Büchern erinnert. Den fertigen Sud, der durch Lavendelöl und Bienenwachs eine zarte, liebliche Duftnote erhält, gießt sie in kleine weiße Salbentöpfchen. Nach dem Picknick am See probiere ich die Salbe gleich aus: Zwar verschwinden die Mückenstiche nicht schneller, aber der Juckreiz lässt sofort nach, ein überaus angenehmes Gefühl auf meiner geplagten Haut.

Mit erschöpften, aber glücklichen Kindern wandern wir schließlich nach Teltow zurück. Am 8. September fand der vorerst letzte interkulturelle Streifzug des Philantows statt. „Ich hoffe aber, dass es im nächsten Jahr weitergeht“, sagte Afra. Finanziell ermöglicht wurde das Projekt von der ­Potsdamer Wilhelm-von-Türk-Stiftung. „Das Tolle an diesem Projekt ist das Zusammenführen von Menschen in der Natur direkt vor der Haustür“, schwärmt Afra. „Doch ohne die großartige Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und Förderern hätte das Projekt nie auf die Beine gestellt werden können.“

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Landstreicherei

 

Text/Fotos: pi/ Stadt-Blatt Verlag